Praxisschock? – Die Genese der EU-Emissionshandelsrichtlinie und ihre klimapolitische Bedeutung.

Von Tilman Santarius und Marcel Braun

Erschienen als: Santarius, Tilman/ Braun, Marcel: Praxisschock? – Die Genese der EU-Emissionshandelsrichtlinie und ihre klimapolitische Bedeutung. In: Schüle, Ralf (Hrsg.): Grenzenlos handeln? Emissionsmärkte in der Klima- und Energiepolitik. München, 2008, S. 22-36.

1. Die schnelle Karriere eines umweltpolitischen Instruments

Gäbe es ein Guinness Buch der Rekorde für die Umweltpolitik, würde der Emissionshandel für Treibhausgase darin sicher ein eigenes Kapitel einnehmen. In einem für politische Prozesse äußerst kurzen Zeitsraum von knapp zehn Jahren vollzog sich seine Einführung als klimapolitisches Instrument. Dies ist vor allem bemerkenswert, weil nicht nur ein Emissionshandel, sondern genauer betrachtet mehrere Handelssysteme auf verschiedenen politischen Ebenen etabliert wurden. Auf internationaler Ebene, in den internationalen Verhandlungen unter der Klimarahmenkonvention (UNFCCC), schlugen die USA 1996 einen zwischenstaatlichen Emissionshandel vor, der dann 1997 im Kyoto-Protokoll beschlossen und bis 2001 in den sog. Marrakesh Accords (UNFCCC 2001a) ausgestaltet wurde. Parallel und nur wenig zeitversetzt wurde das Instrument auf europäischer Ebene eingeführt: 1998 schlug die Europäische Kommission – die Vereinbarungen des Kyoto-Protokolls vor Augen – den Emissionshandel zwischen Unternehmen in der EU vor; einem Grünbuch im Jahre 2000 folgte 2001 ein Richtlinienentwurf der Kommission, der 2003 als verbindliche EU-Rahmenrichtlinie verabschiedet wurde. Und da diese Rahmenrichtlinie in allen EU-Mitgliedsstaaten jeweils national ausgestaltet werden muss, erreichte das Instrument, wiederum nur geringfügig zeitversetzt, die bundesdeutsche Ebene: Im Nationalen Klimaschutzprogramm 2000 wurde erstmals der Emissionshandel erwähnt, Anfang 2001 gründete die Bundesregierung die ‚Arbeitsgruppe Emissionshandel’, um die EU- und internationalen Verhandlungsprozesse zu begleiten und ein nationales Emissionshandelssystem vorzubereiten, und im Jahr 2004 wurde die EU-Richtlinie zum Emissionshandel vom deutschen Bundestag in nationales Recht gegossen. Schließlich, seit dem 1. Januar 2005, können Unternehmen EU-weit mit Emissionszertifikaten handeln. In weniger als neun Jahren reüssierte der Emissionshandel vom theoretischen Konzept zur politischen Wirklichkeit.

Die schnelle Karriere des Emissionshandels ist umso erstaunlicher vor dem Hintergrund, dass das Instrument lange Zeit in Politik wie Öffentlichkeit sehr kritisch diskutiert wurde. In den USA wurde zwar bereits 1975, nur sieben Jahre nach einem erstmaligen Vorschlag eines Emissionszertifikatehandels durch John H. Dales, ein nationaler Handel mit Schwefeldioxidemissionen eingeführt, und später in Kalifornien ein Handel für lokale Luftverschmutzung; in Europa gab es immerhin einen regionalen Emissionszertifikatehandel in Basel (Scheelhaase 1994). Doch obwohl diese Systeme ihre Funktionsfähigkeit bewiesen hatten, sah sich der Emissionshandel für Treibhausgase massiven Akzeptanzproblemen ausgesetzt. Der Verkauf von „Verschmutzungsrechten“ wurde in den Medien als „Ablasshandel“ oder von Umwelt-NGOs als „Prostitution von Mutter Erde“ polemisiert (vgl. Gawel 1998). Politiker scheuten zudem davor zurück, bislang ‚kostenlose’ Emissionen pötzlich mit einem Preis zu versehen; nicht zuletzt schienen mit einer solch abrupten Änderung der Rahmenbedingungen rechtliche Fragen verbunden zu sein (z.B. Endres et al. 1994).

Wie kam es also zu einer politischen Kehrtwende binnen so kurzer Zeit? Welche Akteure und Institutionen waren die Triebkräfte im Einführungsprozess, welche Verhandlungsteilnehmer traten als Bremser auf? Und hält der Emissionshandel in der Praxis, was die Theorie von ihm verspricht – oder entpuppt sich, wenn es um die tatsächlich vermiedenen Treibhausgasemissionen geht, die schnelle Karriere des Instruments eher als eine Luftnummer? Zunächst soll der komplexe Einführungsprozess genauer betrachtet werden, wobei der Rolle Deutschlands im Verhandlungsprozess der EU-Richtlinie besondere Bedeutung geschenkt wird. Der Vergleich zum wesentlich trägeren Verhandlungsprozess über eine EU-weite Energie-/CO2-Steuer Mitte der 1990er Jahre könnte einige Erfolgsfaktoren der schnellen Karriere des Emissionshandels verdeutlichen, bevor eine Bewertung seiner klimapolitischen Bedeutung vorgenommen werden kann und Eckpunkte für eine Fortentwicklung der Emissionshandelsrichtlinie aufgezeigt werden.

2. Die Genese des Emissionshandels

2.1 Kyoto als Wegbereiter

Die wichtigsten Akteure für das Agenda-Setting waren inter- und supranationale Organisationen und die USA. Zwar wurde der Emissionshandel bereits auf dem Weltgipfel für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 als Instrument zur Reduktion von Treibhausgasen diskutiert. Allerdings fand er nur in der AGENDA 21 Eingang in die offiziellen Ergebnisse von Rio; in den Verhandlungen zur Klimarahmenkonvention (UNFCCC) wurde er von den Staaten eher am Rande wahrgenommen. Supra- bzw. internationale Organisationen wie die Organization for Economic Cooperation and Development (OECD) und die United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD) hingegen hatten das Instrument schon Anfang der 1990er Jahre auf ihre Agenda gesetzt und hielten in Rio mehrere Diskussionsforen dazu ab. UNCTAD gab im Rahmen ihres „Greenhouse Gas Emissions Trading Project“ verschiedene Studien zum Thema heraus (z.B. UNCTAD 1992); die OECD veröffentlichte 1992 eine Studie und untersuchte dabei die US-amerikanischen Erfahrungen mit dem Emissionshandel für Schwefeldioxid sowie Möglichkeiten der Einführung eines Emissionshandelsystems für Treibhausgase auf internationaler Ebene (vgl. Michaelowa 2000). Unter den NGOs setzte sich die US-amerikanische Umweltorganisation Environmental Defense bereits Anfang der 90er Jahre für den Emissionshandel ein und veröffentlichte 1991 eine Studie, die diesen als Instrument zum Schutz des Regenwalds propagierte (vgl. Dudek/LeBlanc 1991). Wenig später engagierte sich auch die International Energy Agency (IEA) und moderierte zusammen mit der OECD in den Verhandlungen unter der Klimarahmenkonvention die Annex-I-Expert-Group, die sich im Laufe der Verhandlungen zum wichtigsten Forum für die Ausarbeitung eines Emissionshandelssystems entwickelte (Oberthür/Ott 2000). Das Agenda-Setting eines zwischenstaatlichen Emissionshandels wurde somit durch internationale Organisationen maßgeblich vorbereitet.

Als die USA Ende 1996 begannen, sich intensiv für die Einführung eines Emissionshandels einzusetzen, schlossen sich andere Staaten der so genannten JUSSCANNZ-Gruppe (Japan, USA, Schweiz, Kanada, Neuseeland und Norwegen) der amerikanischen Position an (vgl. Agrawala/Andresen 2002). Demgegenüber lehnten die EU-Länder den Emissionshandel bis zur 3. Vertragsstaatenkonferenz in Kyoto ab, da sie befürchteten, dass Emissionszertifikate der Bevölkerung als ein ‚Recht zur Verschmutzung’ oder als ‚Ablasshandel’ erscheinen und das Instrument somit die internationalen Klimaverhandlungen delegitimieren könnte. Sie bezweifelten zudem, dass dieses neue und komplexe Instrument in der geplanten Zeit verhandelt werden könnte und befürchteten, dass die USA den Vorschlag eingebracht hätten, um die Verhandlungen zu verzögern (vgl. Grubb/Vrolijk/Brack 1999). Die in der sog. G77+China organisierten Entwicklungsländer lehnten den Vorschlag ebenfalls ab. Da die USA jedoch ihre Zustimmung zum Kyoto-Protokoll an die Aufnahme des Emissionshandels knüpften, machte die EU im Verhandlungsmarathon von Kyoto 1997 letztlich ein Zugeständnis. Sie konnte durch ihre Zustimmung zum Emissionshandel im Gegenzug höhere Reduktionsverpflichtungen für die Industrieländer durchsetzen und akzeptierte ihn unter der Bedingung, dass er nur zusätzlich zu Maßnahmen und Politiken im eigenen Land stattfinden würde („Supplementarity“) (Grubb/Vrolijk/Brack 1999). Im Fortgang der Verhandlungen bis zu den Marrakesh Accords 2001 wurde diese Zusätzlichkeitsklausel der Hauptkonfliktpunkt in den Verhandlungen zum Emissionshandel. Nachdem George W. Bush im Frühjahr 2001 das Kyoto-Protokoll als „fatally flawed“ abgelehnt und die USA sich aus dem Verhandlungsprozess zurückgezogen hatten, wurde es nun oberste Priorität der EU, die Verhandlungen ohne die USA zu einem verbindlichen Ergebnis zu bringen. Sie konnte die Zusätzlichkeitsklausel daher nicht konkretisieren, sondern musste letztlich der juristisch schwächeren Formulierung zustimmen, dass Industrieländer ihre Reduktionsverpflichtungen „chiefly“ (d.h. hauptsächlich) durch nationale Maßnahmen zu erreichen haben (vgl. UNFCCC 2001b).

In der Phase bis zum Kyoto-Protokoll haben sich nicht-staatliche Akteure zunächst nur wenig zum Emissionshandel geäußert, von der Vorreiterrolle von Environmental Defense einmal abgesehen (Oberthür/Ott 2000). In den Verhandlungen der Marrakesh Accords sahen weite Teile der Umwelt-NGOs im Emissionshandel nach wie vor ein Schlupfloch für strikte nationale Reduktionsmaßnahmen und standen ihm daher sehr kritisch gegenüber. Währenddessen trat ein breites Spektrum von Wirtschaftsvertretern, etwa der World Business Council for Sustainable Development (WBCSD) oder die Union of Industrial and Employers’ Confederations of Europe (UNICE) (vgl. BIAC/OECD/IEA 1999) sowie eigens gegründete Wirtschaftsverbände wie die International Emissions Trading Association (IETA) oder die Emissions Marketing Association (EMA), als starker Befürworter des Emissionshandels auf. Nur wenige Vertreter der Wirtschaft, insbesondere einige der energieintensiven Unternehmen und ihre Verbände (v.a. aus Deutschland), standen dem Konzept des Emissionshandels nach wie vor skeptisch gegenüber.

2.2 Tauziehen um den EU-Emissionshandel

Auf EU-Ebene lässt sich das Agenda-Setting des Emissionshandels klar auf die EU-Kommission zurückführen, genauer gesagt auf die Generaldirektion Umwelt. Bereits im Januar 1998, nur wenige Monate nach der Konferenz in Kyoto, lud sie zu einem informellen Treffen mit Umwelt-NGOs ein, um nach deren Ablehnung eines zwischenstaatlichen Emissionshandels deren Meinungen zu einem EU-internen Emissionshandel auszuloten (Singer 2005). Im Juni 1998 gab die Kommission eine Mitteilung zur klimapolitischen Strategie der EU an das EU-Parlament und den Ministerrat heraus, mit der sie vorschlug, einen EU-weiten Emissionshandel für Unternehmen ab dem Jahre 2005 einzuführen (Europäische Kommission 1998). Im Mai 1999 folgte eine zweite Mitteilung zur Konkretisierung der europäischen Klimaschutzstrategie, in der die Kommission ein Grünbuch zum Emissionshandel für das Jahr 2000 ankündigte (Europäische Kommission 1999). Erst mit Vorlage dieses Grünbuchs im März 2000 begann ein öffentlicher Diskussionsprozess auf europäischer Ebene. Obwohl einige Mitgliedsstaaten, wie Großbritannien, Norwegen oder Dänemark, parallel bereits begonnen hatten, eigene Emissionshandelssysteme zu entwickeln, blieb bis dahin der Einfluss der Mitgliedsstaaten auf EU-Ebene äußerst gering (Vis 2005).

Die Kommission hat insofern ihre Rolle als think tank der Europäischen Union vorbehaltlos wahrgenommen und trat gegenüber den Mitgliedsstaaten klar als Wegbereiterin des Emissionshandels auf. Dabei können einige wenige Entscheidungsträger in der Kommission identifiziert werden, die gleich „policy entrepreneurs“ die treibenden Kräfte hinter dem gesamten Verhandlungsprozess blieben. Jos Delbeke und Peter Vis als für die Richtlinie zuständigen Personen in der Generaldirektion Umwelt sowie Peter Zapfel bildeten dabei ein effektives Politiknetzwerk mit Jorge Moreira da Silva als Rapporteur im EU-Parlament und Umwelt-Kommissarin Margot Wallström, die stark auf den Rat der EU-Umweltminister einwirkte. Diese Personen verstanden es wiederholt, in einer konstanten Suche nach Lösungen und politischen Vermittlungen – auch im weiteren Kreis mit Befürwortern aus Regierungen der Mitgliedsstaaten und anderen EU-Kommissionen – den Politikprozess zu beschleunigen und offene Handlungsspielräume zu gestalten. Dabei kam es den Mitarbeitern der Generaldirektion Umwelt zugute, dass sie während der Jahre 1998 bis 2001, noch bevor die Diskussion um die Richtlinie öffentlich wurde, durch die Vergabe von Studien (s.u.), die Durchführung von Stakeholder-Dialogen und die interne Ausarbeitung der Richtlinie systematisch Kompetenz und know-how aufbauten, welches sie in den Verhandlungen als strategischen Vorteil gegenüber den Vertretern anderer Generaldirektionen, den Mitgliedsstaaten im Rat, den Abgeordneten des Parlaments und sonstigen Stakeholdern nutzen konnten (Vis 2005).

Besonders in der Phase der Ausarbeitung des Grünbuchs und des Richtlinienentwurfs haben Experten im Umfeld der EU Kommission großen Einfluss genommen. Im Vorfeld des Grünbuchs gab die Kommission vier Studien in Auftrag, welche die Entwicklung eines Emissionshandelssystems vorbereiten und begleiten sollten (CCAP 1999; FIELD 2000; Capros/Mantzos 2000; IPTS 2000). Insbesondere die FIELD-Studie hat die Richtlinie nachhaltig beeinflusst. Sie plädierte dafür, Emissionszertifikate beim Emittenten (‚downstream’) und nicht bei den Brennstofflieferanten oder -produzenten anzusetzen, und sie gab einer Verteilung der Zertifikate nach dem grandfathering-Prinzip, also auf Basis von historischen Emissionswerten, gegenüber einer Versteigerung den Vorzug.

Im Gegensatz zum hohen Einfluss von Experten zeigten sich die diversen Stakeholder-Dialoge eher als Lernforen mit proforma-Partizipation. Im Rahmen des Europäischen Klimaschutzprogramms (ECCP) gab es einen ersten Konsultationsprozess zum europäischen Emissionshandel, bei dem rund 30 Vertreter aus den EU-Mitgliedsstaaten, der Wirtschaft und aus einigen Umwelt-NGOs bei insgesamt zehn Treffen verschiedene Design-Optionen eines Emissionshandels diskutierten (Europäische Kommission 2000a; Europäische Kommission 2001). Ferner leitete die Kommission mit der Veröffentlichung des Grünbuchs einen weiteren Konsultationsprozess zur Ausgestaltung des EU-Emissionshandelssystems ein (vgl. Europäische Kommission 2000a). Fast 90 Interessensvertreter nahmen das Angebot wahr und kommentierten den mit dem Grünbuch veröffentlichten Fragenkatalog der Kommission (vgl. Europäische Kommission 2001a). Darüber hinaus veranstaltete die Kommission im Verhandlungsverlauf eine Reihe von Anhörungen.

CAN-Europe, der Zusammenschluss der europäischen Umweltgruppen im Klimabereich, begrüßte den Dialog mit den Interessensvertretern und die Initiative der Kommission, ein starkes Instrument zur Umsetzung der Kioto-Ziele einzuführen. In ihrer Stellungnahme zum Grünbuch setzte sich CAN-Europe für Designoptionen mit der höchsten ökologischen Effektivität ein, betonte jedoch wie schon bei den Kioto-Verhandlungen, dass das Hauptaugenmerk der Klimapolitik auf nationalen Politiken und Maßnahmen liegen sollte (vgl. CAN-Europe 2000; CAN Europe/Bird Life/WWF/Friends of the Earth Europe 2002). In den Stellungnahmen der europäischen Unternehmensverbände stand die Forderung nach Kosteneffektivität im Mittelpunkt. Der Emissionshandel dürfe keine Wettbewerbsnachteile für die europäische Wirtschaft bedeuten, und müsse nach diesem Kriterium ausgestaltet werden (vgl. Europäische Kommission 2001a). Der europäische Dachverband der Industrie, UNICE, befürwortete den Emissionshandel als ein Instrument, das es den Unternehmen ermögliche, Emissionsreduktionen flexibel zu erzielen; als weitere besondere Emissionshandelsbefürworter waren schon früh die Mineralölunternehmen Shell und BP aktiv (Merziger 2005); einzelen andere Unterhemen, etwa aus der Chemiebranche und der Kalk verarbeitenden Industrie, lehnten die Einführung des Emissionshandels aber nach wie vor ab (Santarius/Ott 2002). Obwohl mit den Stakeholder-Dialogen und Anhörungen alle staatlichen und viele engagierte nicht-staatliche Akteure die Möglichkeit erhielten, ihre Positionen zu einem europäischen Emissionshandel einzubringen, ist unklar, inwiefern diese tatsächlich in die Entwicklung des Richtlinienentwurfs eingeflossen sind. Stattdessen scheinen die Dialoge der Kommission eher als Instrument gedient zu haben, die Kenntnisse betroffener Interessengruppen zum Emissionshandel zu vertiefen, Skepsis auszuräumen (Europäische Kommission 2000) und die Wahrnehmung des Themas innerhalb der EU und der Mitgliedsstaaten voranzutreiben. Von den vorgebrachten Positionen fanden indes nur sehr wenige Eingang ins Grünbuch oder in den Richtlinienentwurf.

Dem Europäischen Parlament wiederum kann eine starke Rolle im Verhandlungsprozess der Richtlinie zugeschrieben werden. In seiner ersten Lesung, am 10. Oktober 2002, plädierte es mit einer großen Mehrheit für die Verabschiedung der Richtlinie, nahm jedoch über 100 Änderungsanträge an (vgl. Europäisches Parlament 2002). In Folge dessen und im Vorfeld der zweiten Lesung des Parlaments fanden sowohl zwischen Parlament und Kommission als auch zwischen Parlament und Rat eine Vielzahl von Treffen und Anhörungen statt, um die Änderungsanträge zu diskutieren (Vis 2005). Rechtzeitig vor dem geplanten Handelsstart am 1. Januar 2005 konnten die meisten Meinungsunterschiede (freiwillige oder verpflichtende Teilnahme, Festlegung der einbezogenen Sektoren und Gase, Auktionierung oder Grandfathering der Emissionsberechtigungen, Gesamtmenge der Emissionsberechtigungen, Integration der projektbasierten Mechanismen Joint Implementation und Clean Development Mechanism) ausgeräumt werden, wobei einer Reihe von Änderungsanträgen des Parlaments – wie etwa der Forderung, dass einzelne Produktionsanlagen nur im Einzelfall und unter strengen Auflagen von der Teilnahme am Emissionshandel befreit werden dürfen – entsprochen wurde. Das Parlament nahm die Richtlinie am 2. Juli 2003 in seiner zweiten Lesung an, allerdings nicht ohne noch einmal 17 Änderungsanträge an den Rat zu geben. Nur mit der Forderung, ein Teil der Zertifikate müsse in allen Mitgliedsstaaten versteigert werden, konnte das Parlament sich nicht gegen den Ministerrat durchsetzen, der keinen Verweis auf eine Auktionierung in die Richtlinie aufnehmen wollte; hier wurde letztlich der Kompromiss gefunden, dass nun den Mitgliedsstaaten anheim gestellt wird, ob sie in der ersten Handelsphase 5% und in der zweiten Phase ab 2008 maximal 10% der Zertifikate versteigern möchten (vgl. Europäische Kommission 2003).

2.3 Deutschland als Einzelgänger in den EU-Verhandlungen

Für die Diskussion auf der bundesdeutschen Ebene lässt sich beim Agenda-Setting und im Meinungsbildungsprozess über den Emissionshandel eine äußerst starke Beeinflussung durch die Diskussion auf EU-Ebene feststellen. Die Bundesregierung kündigte erst mit der Herausgabe des nationalen Klimaschutzprogramms Ende 2000 an, eine Arbeitsgruppe ‚Nationaler Emissionshandel’ zu gründen (Bundesregierung 2000). Im Januar 2001 etablierte das BMU dann die ‚Arbeitsgruppe Emissionshandel zur Bekämpfung des Treibhauseffektes’ (AGE), die in den folgenden Jahren das wichtigste nationale Forum zum Emissionshandel bildete. Während des ersten halben Jahres 2001 standen noch die verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten eines nationalen Emissionshandelssystems im Mittelpunkt der Diskussionen der AGE; doch mit den fortschreitenden Entwicklungen auf europäischer Ebene änderte sich der Arbeitsschwerpunkt der Gruppe und folgte in den nächsten beiden Jahren weitgehend dem Diskussionsverlauf auf europäischer Ebene. Schon nachdem Ende Mai 2001 ein inoffizieller Richtlinienentwurf zirkulierte, spätestens jedoch mit der Veröffentlichung des Richtlinienentwurfs im Oktober 2001 richteten sich die Diskussionen in der AGE fortan auf den Versuch, eine gemeinsame Position zur Richtlinie zu formulieren und Änderungs- und Ergänzungsvorschläge aus deutscher Sicht abzustimmen (vgl. AGE 2002).

Im Verlauf der Verhandlungen über die EU-Richtlinie kam es mehrmals zu Meinungsverschiedenheiten zwischen der Bundesregierung, der EU-Kommission und den anderen Mitgliedsstaaten. In keinem Fall konnte sich die Bundesregierung jedoch mit ihren Forderungen durchsetzen. Der wichtigste Konflikt drehte sich um die Frage, ob die Teilnahme am Emissionshandel verpflichtend oder freiwillig sein sollte. Nachdem selbst die Forderung, dass wenigstens die Teilnahme in der Pilotphase von 2005 bis 2007 freiwillig sein sollte, keine Resonanz im Ministerrat fand, trat Deutschland mit Großbritannien fortan für den Ausschluss bestimmter Wirtschaftssektoren vom Handel ein (vgl. Boie 2002). Die Forderung der Bundesregierung ging vor allem auf den Einfluss der Industrie, namentlich des BDI, VCI und der BASF AG zurück, die an ihrer freiwilligen „Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der deutschen Wirtschaft zur Klimavorsorge“ (vgl. BMU 2000) festhielten und ein verpflichtendes Emissionshandelssystem als inkompatibel zu dieser Selbstverpflichtung betrachteten. Das Europäische Parlament aber lehnte eine generelle Ausstiegsoption mit großer Mehrheit ab. Schließlich wurde sich im Ministerrat darauf geeinigt, dass bestimmte Anlagen bis 2007 vom Handel ausgeschlossen werden dürften („opt-out“), nicht aber ganze Branchen (vgl. Rat der Europäischen Union 2002). Im Grundsatz blieb die verpflichtende Teilnahme am Emissionshandel somit bestehen.

Durch einen weiteren Änderungsantrag versuchte die Bundesregierung ebenso erfolglos, die Kompatibilität des Emissionshandels mit den freiwilligen Selbstverpflichtungen zu gewährleisten. Durch ein „pooling“, d.h. den Zusammenschluss mehrerer Anlagen unter der Ägide eines Treuhänders, sollten die branchenspezifischen Reduktionsziele der freiwilligen Selbstverpflichtungen mit den anlagenspezifischen Zielen der Emissionshandelsrichtlinie in Einklang gebracht werden. Zunächst forderte die Bundesregierung die Einführung eines „Zwangspools“, was jedoch auf den geschlossenen Widerstand der Kommission, des Parlaments, der anderen Mitgliedsstaaten sowie auch der Umwelt-NGOs stieß (IEEP 2004). Da aber im Herbst 2002 die Forderung eines pooling der Anlagen im Koalitionsvertrag zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen festgeschrieben worden war (vgl. Bundesregierung 2002), sah sich die Bundesregierung in Brüssel in der Pflicht, rigoros an ihrer Forderung festzuhalten. Schließlich brachte die Kommission den Vorschlag ein, dass Unternehmen ihre Emissionsberechtigungen („allowances“), nicht aber ihre Betriebsgenehmigungen zur Emission von Treibhausgasen („permits“) freiwillig zusammenschließen könnten. Der eingesetzte Treuhänder soll die Reduktionspflichten übernehmen, die Anlagenbetreiber bleiben allerdings für Berichterstattung und Kontrolle verantwortlich und haften im Falle der Nicht-Erfüllung der Emissionsrechte (Rat der Europäischen Union 2002; Europäische Kommission 2003). Durch den Kompromiss konnte die Bundesregierung rein formal dem Koalitionsbeschluss genüge tun, trug aber nicht den hinter der deutschen Forderung stehenden Zielen Rechnung. Denn, wie absehbar, findet der freiwillige Pool keine Anwendung, da er sich für Unternehmen in der Praxis als nutzlos erweist.

3. Erfolgsfaktoren: von der EU-weiten Ökosteuer zum Emissionshandel

Die Einführung des Emissionshandels stellte nicht den ersten Versuch der EU-Kommission dar, durch die Umsetzung ökonomischer Instrumente international eine Vorreiterrolle im Klimaschutz einzunehmen. Tatsächlich hatte die Kommission bereits 1992 eine EU-weite Steuer zur Reduktion von CO2-Emissionen vorgeschlagen, scheiterte allerdings an der notwendigen Einstimmigkeit im Rat der EU-Finanzminister bei Steuer- und Finanzfragen. Auch der revidierte Vorschlag im Jahr 1995 konnte nicht in Kraft treten; diesmal behinderte insbesondere Deutschland den Vorschlag, indem so hohe Steuersätzen gefordert wurden, dass der Vorschlag nach den Erfahrungen von 1992 scheitern musste. Erst 1997 wurde eine entsprechende Steuer auf EU-Ebene verabschiedet, allerdings in einer so stark verwässerten Form, dass sie praktisch keine Lenkungswirkung entfaltete (Santarius 2000). Insofern setzten sich sowohl die Geschwindigkeit und Zielstrebigkeit, mit welcher der Emissionshandel verhandelt wurde, wie auch die Stringenz des Ergebnisses markant von den schwerfälligen Verhandlungen über eine europäische Energie- bzw. CO2-Steuer ab.

Dies mag zum einen daran liegen, dass für den Emissionshandel keine Einstimmigkeit im Rat der EU-Umweltminister erforderlich war, denn der Richtlinienvorschlag zum Emissionshandel basierte als umweltpolitische Maßnahme auf Art. 175 (1) und bedurfte daher im Ministerrat lediglich einer qualifizierten Mehrheit. Anders als bei der als finanzpolitische Maßnahme eingestuften Energie-/CO2-Steuer bestand also nicht die Gefahr, in eine Politikverflechtungsfalle (Scharpf 1985) zu geraten, sollten einzelne Staaten einen Konsens verweigern. Das Mehrheitsverfahren mag als Drohpotential fungiert haben, auch wenn in den Verhandlungen zum Emissionshandel davon kein Gebrauch gemacht wurde und alle Beschlüsse im Ministerrat stets einstimmig erfolgten. Die Kommission beugte durch geschickte Verhandlungsführung einer Mehrheitsabstimmung vor, indem sie in entscheidenen Momenten durch Gespräche in kleineren Kreisen nach Lösungen suchte. Beispielsweise arbeitete die Kommission beim Thema pooling zunächst bilateral mit der Bundesregierung einen Kompromiss aus und legte ihn dann erst den anderen Mitgliedsstaaten im Rat vor (Vis 2005).

Darüber hinaus konnte die Kommission auf die im Kyoto-Protokoll eingegangenen Verpflichtungen der Mitgliedsstaaten verweisen und das Totschlag-Argument der Energie-/CO2-Steuer-Verhandlungen entkräften, klimapolitisches Engagement im Alleingang würde Wettbewerbsnachteile zeitigen. Die Kommission verwies lediglich auf ihr Mandat und ihre Pflicht, die Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung der Kyoto-Ziele mit entsprechenden Maßnahmen zu unterstützen. Damit wurde der Misserfolg der Steuer zu einem wesentlichen Faktor für die erfolgreiche Einführung des europäischen Emissionshandelssystems, denn es war abzusehen, dass nach der gescheiterten Steuer die bereits bestehenden klimapolitischen Instrumente der EU (z.B. das Energieeffizienzprogramm SAVE und das Erneuerbare Energien Programm ALTENER) nicht ausreichen würden, die Kyoto-Ziele zu erreichen. Für die Verhandlungen auf EU-Ebene erwies es sich dabei als „clever entrepreneurial move“ (Wettestad 2005) der EU-Kommission, dass mit der Rahmenrichtlinie weder für die Mitgliedsstaaten noch gar für einzelne Unternehmen konkrete Reduktionsziele festgelegt wurden. Stattdessen lässt die Richtlinie bei den politisch umstrittensten Fragestellungen – der Gesamtmenge der zu vergebenden Zertifikate und den Allokationsmethoden – den einzelnen Ländern große Freiheit in der Umsetzung. Konkrete Auswirkungen auf Wettbewerbsposition von EU-Mitgliedsstaaten oder einzelnen Unternehmen konnten während der Verhandlungen noch nicht berechnet werden, da sie von den Nationalen Allokationsplänen abhängen. Wenn Kritiker dennoch mit potentiellen Wettbewerbsverzerrungen des EU-Emissionshandels argumentierten, dann richtete sich dies augenscheinlich gegen die Vereinbarungen von Kyoto bzw. das EU-Lastenteilungsverfahren („Burden Sharing Agreement“), und erwies sich damit schnell als politisch illegitim. Im Gegensatz dazu hatte die Höhe der Steuersätze und ihre Auswirkungen auf Wirtschaft und Wettbewerb bei den Diskussionen um die Energie- bzw. CO2-Steuer naturgemäß den größten Konfliktpunkt dargestellt.

Zudem verlief ein großer Teil der Verhandlungen über den Emissionshandel weniger öffentlich als die Verhandlungen über die Energie-/CO2-Steuer, da das Instrument Emissionshandel in seinen Funktionsprinzipien wesentlich komplexer und für politische Entscheidungsträger wie für die Öffentlichkeit ungewöhnlicher ist als die Einführung einer Steuer. Die EU-Kommission konnte ihren Vorsprung an Know-how nutzen und den Verhandlungsprozess in allen Gremien stets mit einer solchen Geschwindigkeit vorantreiben, dass andere Akteure kaum Gelegenheit bekamen, verhandlungsnah Kompetenzen aufbauen und alternative Konzepte anbieten zu können (Singer 2005; Steffe 2005). Der äußerst eng gesetzte Zeitplan der Kommission, der schon mit dem Grünbuch im Jahre 2000 auf den Start einer Testphase zwischen 2005-2007 abzielte und insofern eine Verabschiedung der Richtlinie auf EU-Ebene bis spätestens 2003 erforderlich machte, um noch genügend Zeit für die nationale Umsetzung zu lassen, erwies sich als unablässige Triebkraft der Verhandlungen. Demgegenüber lag bei den Verhandlungen über die Energie-/CO2-Steuer weder eine Schieflage der Verhandlungskapazitäten vor, noch ein klarer und eng gesetzter Zeitkorridor.

Schließlich erwies sich als weiterer Erfolgsfaktor für die Verhandlungen des Emissionshandels, dass sie von einer breiten Front an Befürwortern aus der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft, den Mitgliedsstaaten und des EU-Parlaments getragen wurden. Diese Gruppen hatten sich Anfang und Mitte der 1990er Jahre noch nicht in dem Maße für die Einführung einer Energie/CO2-Steuer mobilisieren lassen; einige Umwelt-NGOs hatten sich damals gar gegen die Einführung einer Steuer ausgesprochen. Nicht zuletzt mithilfe der zahlreich von der Kommission veranstalteten Anhörungen und Partizipationsforen durchliefen diese Gruppen einen Lernprozess, der ihre allgemeine Skepsis gegenüber marktbasierten (ökonomischen) Instrumenten der Umweltpolitik ausräumte und ihnen Vertrauen gegenüber der Funktionsweise des Emissionshandels und dem speziellen Design der Emissionshandelsrichtlinie vermittelte. Viele Umwelt-NGOs stehen zwar noch heute dem zwischenstaatlichen Emissionshandel des Kyoto-Protokolls skeptisch gegenüber, befürworten aber einen Unternehmens-basierten Emissionshandel auf nationaler bzw. EU-Ebene als Instrument zur Erreichung der Kyoto-Ziele. Und so kam es, dass Umwelt-NGOs die Verabschiedung der Emissionshandels-Richtlinie 2003 als einen der wichtigsten Meilensteine der europäischen Klimapolitik feierten, obwohl viele von ihnen das Instrument nur wenige Jahre zuvor noch als „Inwertsetzung von Natur“ (Gawel 1998) abgelehnt hatten.

4. Ein starker Rahmen, aber ein noch schwaches Bild

Die Einführung der EU-Emissionshandelsrichtlinie stellt zweifelsohne ein deutliches Signal für den Klimaschutz dar, sowohl nach außen bzw. auf andere Vertragsstaaten des Kyoto-Protokolls, wie nach innen auf die Klimapolitik der EU-Mitgliedsstaaten. Ob die Richtlinie mit Blick auf die tatsächliche Vermeidung von Treibhausgasen allerdings ein wirksames Instrument darstellt, kann drei Jahre nach seiner Einführung noch nicht abschließend beurteilt werden. Einerseits deutet die verbindliche Teilnahme von Unternehmen, die nun EU-weit für rund 12.000 Anlagen Emissionsberechtigungen vorweisen müssen und für insgesamt knapp die Hälfte der EU-weiten CO2-Emissionen verantwortlich sind, auf ein starkes, rechtliches Regelwerk hin. Ebenso zeigen die strikten Bedingungen, die für eine nur zeitweilige Ausnahme einer Anlage von der Teilnahme am Emissionshandel erfüllt sein müssen, wie auch die Strafzahlungen in Höhe von 100 EURO pro Tonne CO2 – im Gegensatz zu Marktpreisen von bisher 5 bis 30 EURO – , dass mit der Rahmenrichtlinie ein Regelwerk ‚mit Zähnen’ verabschiedet wurde. Andererseits aber muss berücksichtigt werden, dass die Richtlinie nur einen Rahmen zur Verfügung stellt, in dem sich erst die je nationalen Emissionshandelssysteme in den EU-Mitgliedsstaaten zu einem Mosaik zusammenfügen. Es hängt weitgehend von der Ausgestaltung dieser Systeme auf nationaler Ebene ab, inwieweit das Mosaik einen wirksamen Klimaschutz abbildet.

Und die tatsächliche nationale Ausgestaltung zeigt denn auch gleich einige gravierende klimapolitische Schwachstellen der Richtlinie. In der Testphase von 2005-2007 wurden durch den Emissionshandel praktisch keine Emissionsreduktionen erzielt, und die Reduktionsziele der Allokationspläne für die zweite Verpflichtungsperiode (2008-2012) bewegen sich auf bescheidenem Niveau. Dies liegt daran, dass die Richtlinie bei der Definition der tatsächlichen Emissionsvermeidungen viele Fragen offenlässt. Weder die absolute Menge an auszugebenden Emissionsszertifikaten in jedem Mitgliedsstaat, sprich das nationale Reduktionsziel („cap“) für den Emissionshandel, noch das Allokationsverfahren, wie die Emissionszertifikate an die teilnehmenden Unternehmen zu vergeben sind, werden von der Rahmenrichtlinie hinreichend festgelegt. Für das nationale Reduktionsziel schreibt die Richtlinie lediglich vor, es müsse so gewählt werden, dass die Länder ihre Verpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll bzw. dem EU Lastenteilungsverfahren erfüllen. Da dies jedoch klimapolitische Maßnahmen in Wirtschaftssektoren einschließt, die nicht am Emissionshandel teilnehmen – wie etwa eine Ökosteuer für Strom- und Spritverbrauch, Maßnahmen im Bereich der Gebäudesanierung, usw. – kann die absolute Menge zu vergebender Emissionszertifikate von den EU-Mitgliedsstaaten relativ frei gewählt werden; eine Regierung kann schließlich befinden, dass sie ihr Kyoto-Reduktionsziel vor allem über Maßnahmen im Verkehr oder bei den Haushalten erreichen möchte, und kaum über den Emissionshandel. Lediglich wenn eine Überausstattung mit Zertifikaten vorgenommen wird, die einer staatlichen Beihilfe gleichkäme, kann die EU-Kommission eingreifen. Und in der Tat hat die Kommission mit Vorlage der Nationalen Allokationspläne zur zweiten Verpflichtungsperiode (2008-2012) von etlichen Mitgliedsstaaten Korrekturen gefordert, so auch von der Bundesrepublik. Doch aufgrund ihres beschränkten Mandats konnte die Kommission keine wegweisenden Verpflichtungsziele einfordern, sondern nur eine Überaustattung verhindern; die Höhe des nationalen Reduktionsziels verbleibt indes in der Verantwortung der einzelnen Regierungen.

Auch das Allokationsverfahren überlässt die Rahmenrichtlinie zunächst weitgehend der Ausgestaltung durch die einzelnen Mitgliedsstaaten. Es wurden beispielsweise keine produktspezifischen benchmarks vorgeschlagen, die das Vergabeverfahren EU-weit harmonisiert hätten. Die Richtlinie weist lediglich darauf hin, dass Regierungen die Zertifikate mit Blick auf das ‚technische Potential’ der entsprechenden Anlagen zur Vermeidung von Emissionen vergeben sollen. Inzwischen hat die Kommission zwei Mitteilungen veröffentlicht, wie dieser Hinweis zu interpretieren ist, und für die Ausgestaltung der Zweiten Nationalen Allokationspläne (2008-2012) hat sie eine Formel entwickelt, die für die betroffenen Anlagen praktisch Emissionsobergrenzen festlegt. Auf dieser Basis wurden denn auch die meisten der Zweiten Nationalen Allokationspläne der Mitgliedsstaaten durch die Kommission nachgebessert. Dennoch wäre eine Korrektur bzw. allgemeinverbindliche Konkretisierung der Rahmenrichtlinie in den kommenden Jahren klimapolitisch sinnvoll, um die einheitlichere Ausgestaltung der Nationalen Allokationspläne mit generell strengeren Reduktionszielen zu ermöglichen. Denn dass die Nachbesserung der Nationalen Allokationspläne von der Klimafreundlichkeit der Mitarbeiter der Kommission abhängt, ist auf lange Sicht politisch unsicher.

Schließlich entpuppt sich das kostenlose Vergabeverfahren des grandfathering als klimapolitisch fragwürdig. Denn den Unternehmen bleibt es unbenommen, trotz der kostenlosen Vergabe der Zertifikate deren Wert als Opportunitätskosten auf den Marktpreis ihrer Produkte aufzuschlagen. Dies wurde vor allem im Bereich der Elektrizitätserzeugung praktiziert, da auf dem Strommarkt wenig Wettbewerb herrscht. Die Unternehmen haben durch das Überwälzen der Opportunitätskosten auf die Stromkunden mit dem Emissionshandel Gewinne in Milliardenhöhe realisiert – ohne die Einnahmen wiederum in Klimaschutzmaßnahmen zu investieren. Mit anderen Worten, aufgrund des kostenlosen Vergabeverfahrens schafft der Emissionshandel eine lukrative Einnahmequelle genau für jene Unternehmen, die zu den größten Treibhausgasemittenten in der EU zählen. Pikant ist zudem, dass die Einpreisung freilich umso höher ausfällt, je emissionsintensiver der Energieträger ist. Die Unternehmen können ihre Gewinne aus der Einpreisung also maximieren, wenn sie etwa in Kohlekraftwerke statt in klimafreundlichere Gas- und Dampfturbinenkraftwerke investieren. Während es aus Gründen der politischen Diplomatie sinnvoll erschien, dass die Rahmenrichtlinie zunächst weder das nationale Reduktionsziel noch die Einzelheiten des Vergabeverfahrens festgelegt hat, um nicht schon an den Verhandlungen zur Verabschiebung der Richtlinie auf EU-Ebene zu scheitern, ist eigentlich nicht einzusehen, warum sie eine Versteigerung der Zertifikate bis auf 10% ihrer Menge untersagt. Denn mit Blick auf das Ziel der politischen Subsidiarität in der EU-Politik besteht keine zwingende Notwendigkeit, eine Versteigerung auf EU-Ebene zu beschränken. Zwar muss eingeräumt werden, dass bisher kein Mitgliedsstaat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, zumindest 10% der Zertifikate zu versteigern. Dennoch wäre es wünschenswert, dass die Richtlinine die Versteigerung der gesamten Menge der Zertifikate erlaubt, wenn nicht gar verbindlich fordert. Sie würde damit den Druck auf die Unternehmen erhöhen, Kosteneinsparungen bzw. Emissionsreduktionen zu maximieren. Zudem könnten die Staatseinnahmen aus der Versteigerung in Klimaschutzmaßnahmen investiert werden. Ohne eine entsprechende Regelung in der EU-Rahmenrichtlinie ist aus wettbewerbspolitischen Gründen hingegen schwer vorstellbar, dass einzelne Mitgliedsstaaten eine Versteigerung im Alleingang durchführen werden.

Die klimapolitische Bilanz des Instruments fällt bis dato ambivalent aus: die starke Rahmenrichtlinie steht der überwiegend schwachen nationalen Ausgestaltung gegenüber. Zwar ist es drei Jahre nach Einführung des Instruments noch zu früh, um den Beitrag des Emissionshandels zum Klimaschutz in der langen Sicht zu evaluieren; fest steht aber schon jetzt, dass er durch eine Überarbeitung der Richtlinie deutlich verbessert werden kann und sollte. In der Zwischenzeit dürfte die Einführung des Emissionshandels aber als ‚suasorisches Instrument’ der Klimapolitik schon gewirkt haben: Unternehmen berücksichtigen Emissionsminderungspotentiale nun in ihren Geschäftsstrategien, da die Bedeutung des Klimaschutzes von den Umwelt- und Öffentlichkeitsabteilungen in die Finanz- und Handelsabteilungen der Unternehmen aufgestiegen ist. Und den Regierungen wird über die Ausgestaltung der Allokationspläne ein starkes Forum geboten, gesellschaftliche Konflikte zwischen Umwelt- und Wirtschaftspolitik öffentlich und mit am Ende verbindlichen Entscheidungen auszutragen. Derweil trägt der große Spielraum, den die EU-Emissionshandelsrichtlinie den Mitgliedsstaaten lässt, der Tatsache Rechnung, dass Nachhaltigkeit ein gesellschaftlicher Suchprozess ist, der stets neu die unterschiedlichen Machtverhältnisse und Meinungsunterschiede im politischen Mehrebenensystem ausbalancieren muss. Indessen bleibt der Europäischen Union die Aufgabe zu zeigen, ob der Emissionshandel tatsächlich das bedeutendste Instrument der klimapolitischen Strategie der EU wird. Denn zur Erreichung des von der EU gesetzten Ziels, die Erwärmung des Planeten auf 2˚ Celsius zu begrenzen, sind deutlich drastischere Emissionsreduktionen nötig, als sie der Emissionshandel bisher generiert hat.

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