Klimawandel und globale Gerechtigkeit.

Von Tilman Santarius

Erschienen als: Santarius, Tilman: Klimawandel und globale Gerechtigkeit. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 24/2007, S. 18-24. Erneut erschienen als: Santarius, Tilman: Gerechtigkeit im Treibhaus. Die globale Klimaerwärmung trifft vor allem die Armen. In: Universitas Nr. 735, September 2007, S. 928-943. Ebenfalls erschienen als: Santarius, Tilman: Fairness in Zeiten der Erderwärmung. Was Klimaveränderungen mit Menschenrechten zu tun haben. In: Kontakt 3/2007, S. 13-15.

Schneeweiße Sandstrände, üppige Palmen, türkisblaues Meer, farbenprächtige Fische im Korallenriff – die Eilande von Tuvalu im pazifischen Ozean sind ein Paradies. Doch nicht mehr lange. Denn die neun Koralleninseln werden im Laufe dieses Jahrhunderts vom steigenden Meeresspiegel verschluckt werden. Selbst wenn sich nur die moderaten Szenarien der „Zwischenstaatlichen Sachverständigengruppe über Klimaänderungen“ (IPCC) bewahrheiten, wird Tuvalu größtenteils überflutet. Die Regierung hat für ihre 11.000 Einwohner bereits in Neuseeland und Australien Asyl beantragt, und jedes Jahr wandern immer mehr Menschen aus. Doch wer trägt eigentlich die hauptsächliche Schuld am Klimawandel, der ihre Existenz bedroht? Wer wird die Kosten für die Umsiedlungen der Bürger Tuvalus treffen – und ebenso andere Menschen und Gemeinschaften in Süd und Nord entschädigen, die in ähnlicher Weise von den Folgen der globalen Erwärmung heimgesucht werden? Und was muss auf politischer Ebene geschehen, um den Klimawandel nicht nur zu stoppen, sondern damit nicht auch noch mehr Ungerechtigkeit auf der Welt zu schaffen?

Den Klimawandel verursachen die Einen…

Der Klimawandel, der schon in den letzten Jahren beobachtet werden konnte, und der allen wissenschaftlichen Aussagen gemäß in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten noch drastisch zunehmen wird, ist zum überwiegenden Teil auf anthropogene Einflüsse zurückzuführen. Doch nicht alle Menschen tragen in gleicher Weise dazu bei. Schon die Emissionen des weltweit von Menschen verursachten Kohlendioxid (CO2), dem wichtigsten Treibhausgas, sind höchst ungleich über den Globus verteilt. Zunächst lässt sich eine große Kluft zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern feststellen. Während noch Anfang der 1970er Jahre rund 60% der weltweiten CO2-Emissionen auf das Konto der Industrieländer gingen, sind es heute immer noch fast die Hälfte (49%). Mit durchschnittlich 12,6 Tonnen liegt ihr CO2-Ausstoß pro Kopf um einen Faktor 5 bis 6 höher als in den Entwicklungsländern, die im Schnitt 2,3 Tonnen emittieren. Bei genauerem Hinsehen zeigen sich allerdings deutliche Varianzen innerhalb der Gruppen. Für die Gruppe der Entwicklungsländer gilt grundsätzlich: je ärmer, desto weniger CO2-Ausstoß. Die ärmsten Länder emittieren nur rund 0,9 Tonnen pro Kopf und Jahr, während einige wohlhabende Entwicklungsländer, wie etwa die Vereinigten Arabischen Emirate oder Kuwait, im Emissionsniveau sogar die meisten der Industrieländer überbieten. Ebenso variieren die Emissionen innerhalb der Gruppe der Industrieländer, von rund 5,5 Tonnen in Malta und Schweden bis zu 20 Tonnen CO2 pro Kopf in den USA. Das ist über 20mal mehr als in einigen zentralafrikanischen Ländern.

Wichtiger als das unterschiedliche Emissionsniveau ganzer Länder zu betrachten ist es indes, den Beitrag der global Reichen zum Klimawandel gegenüber jenem der armen Menschen zu stellen. Denn weniger als das Leben in den Infrastrukturen eines Industrielandes ist der individuelle Konsum entscheidend für die Höhe der Pro Kopf-Emissionen. Mobilität, etwa der PKW-Verkehr und Flugreisen, aber auch die Nutzung von Elektrogeräten wie Computer oder Tiefkühltruhen und ein hoher Fleischkonsum sind vor allem ausschlaggebend für den CO2-Ausstoß pro Kopf. Einen emissionsintensiven Lebensstil pflegen längst nicht mehr nur die Menschen in den Industrieländern. Legt man eine Einkommensschwelle von 7.000 US-Dollar pro Kopf und Jahr zugrunde, was grob dem Sozialhilfe-Niveau in Europa entspricht, so zeigt sich, dass es neben den gut 900 Mio. Vielverbrauchern im Norden inzwischen mehr als 800 Mio. ‚neue Konsumenten’ in den Entwicklungsländern gibt. Meist in den Metropolen des Südens situiert emittieren sie beim Arbeiten in klimatisierten Bürotürmen oder bei der Spritztour im Mercedes ein Vielfaches mehr als ihre Landsleute im Hinterland. Schließlich setzt eine einzige Flugreise von Frankfurt nach Sydney oder von Buenos Aires nach Singapur und zurück mit rund 12 Tonnen mehr CO2 frei, als die meisten der rund 1 Mrd. Menschen, die mit weniger als 1 US-Dollar pro Tag auskommen müssen, während ihres ganzen Lebens zu verantworten haben!

…die Folgen tragen die Anderen

Der Klimawandel ruft bereits heute massive Schäden an Umwelt und Gesellschaft hervor. Einige Studien haben versucht, diese Schäden monetär zu bewerten. Die größten Kosten des Klimawandels fallen durch extreme Windverhältnisse an, gefolgt von Hochwasserereignissen und Temperaturextremen. Insgesamt sind auf atmosphärische Verursacher 77% der volkswirtschaftlichen Schäden durch Naturkatastrophen zurückzuführen, deren Schadenswert nach Schätzungen der Münchener Rück zwischen 1980 und 2003 bei ca. 1.300 Mrd. US-Dollar lag. Die Schäden durch Naturkatastrophen erreichten im Jahr 2005 eine neue Höchstmarke von über 210 Mrd. US-Dollar, oder 0,5% des Welt-BIP. Die Gesamtschäden dürften allerdings noch darüber liegen, berechnet man beispielsweise die langfristigen wirtschaftlichen Nachwirkungen und kleinere Schadensereignisse mit. In den letzten Jahrzehnten war eine stetige Zunahme der Kosten durch Klimaschäden zu verzeichnen; die Kosten allein aus Extremwetterereignissen sind seit den 1970er Jahren um zwei Prozent jährlich gestiegen. Verschiedenen Szenarien zufolge werden am Ende des 21. Jahrhunderts die volkswirtschaftlichen Belastungen um den Faktor 100 höher liegen als im Jahre 2005; sie werden dann zwischen 5 und 20% des heutigen jährlichen Welt-BIP verschlingen.

Nicht nur sind die Emissionen zwischen Norden und Süden bzw. Arm und Reich ungleich verteilt, dasselbe gilt für die Folgeschäden. Ein Blick auf eine meteorologische Karte macht deutlich, welche Regionen durch zunehmende Extremwetterereignisse, wie etwa Stürme und Überschwemmungen, am meisten getroffen werden dürften. Unregelmäßigkeiten im Monsun werden in erster Linie die Länder Südostasiens in Mitleidenschaft ziehen. Überschwemmungen werden vor allem die Bevölkerungen in den großen Deltagebieten der Erde heimsuchen, etwa in Bangladesh oder Indien. Und der Anstieg des Meeresspiegels wird am stärksten die kleinen Inselstaaten treffen, etwa die unzähligen Eilande im Pazifik, oder auch Städte wie Mogadischu, Venedig oder New Orleans, die auf Meeresspiegelniveau liegen. Reichen Ländern wie den Niederlanden wird es im Vergleich leichter fallen, ihren Deichschutz zu verbessern; eine Wiederaufforstung nach Sturmschäden werden Gemeinden in Kansas eher stemmen können als in Kerala.

Schon heute leiden rund 1,1 Mrd. Menschen an Wasserknappheit, aber der Klimawandel wird die Wasserkrise noch verschärfen. Schätzungen veranschlagen, dass schon bei einer globalen Erwärmung um 2°C – die bereits drastische Einschnitte des gegenwärtigen Emissionsniveaus erfordert – bis zum Jahr 2050 zwischen 200 und 300 Mio. Menschen mehr von Wasserknappheit betroffen sein werden. Insgesamt wird es zwar eine Intensivierung des globalen Wasserkreislaufs geben, so dass bis 2100 die Niederschläge über der weltweiten Landmasse um 4 bis 6% zunehmen werden. Doch diese Zunahme wird weder regional gleich verteilt noch gleichmäßig erfolgen. Vielerorts werden Starkniederschläge und Dürretage zunehmen, während global gesehen eine Verschiebung der Niederschlagsgürtel zu höheren Breiten erfolgen wird – weg von den ohnehin trockenen Gebieten hin zu den schon begünstigten Zonen. Regionen mit deutlich weniger Niederschlag werden insbesondere das südliche Afrika, der westliche Sahel, Nordwestindien, der Mittelmeerraum, das südliche Nordamerika und Mittelamerika sein; Zentralafrika und Südostasien werden deutlich erhöhte Niederschläge verzeichnen.

Die klimatischen Veränderungen werden direkt die Nahrungsmittelproduktion beeinträchtigen. Die Landwirtschaft wird vor allem unter Veränderungen der Temperatur und Niederschläge leiden, einer größeren Anfälligkeit für Krankheiten, Insekten und Schädlingen, der Boden- und Wasserdegradation sowie dem Druck auf die biologische Vielfalt. Modellrechnungen legen nahe, dass zwar die globale Nahrungsmittelproduktion bis zu einem Anstieg von 2°C oder sogar 3°C nicht gefährdet wäre, dass aber die globalen Disparitäten zwischen den Klimazonen zunehmen. So ergibt sich für Getreidepflanzen das Szenario, dass in manchen gemäßigten Zonen die Erträge bei einem leichten Temperaturanstieg potenziell steigen, während sie bei größeren Temperaturzunahmen sinken werden. In den meisten tropischen und subtropischen Regionen dagegen kann man davon ausgehen, dass die Erträge schon bei geringfügig höheren Temperaturen zurückgehen werden, weil die Pflanzen dort schon jetzt am Temperaturoptimum wachsen. Größere Auswirkungen auf die Ernteerträge wird es dort geben, wo die Niederschläge stark zurückgehen, also besonders in den subtropischen und tropischen Trockengebieten und in Regionen mit Regenfeldbau wie etwa dem Sahel, dem Horn von Afrika, den chilenischen Anden oder Teilen Zentralasiens, Ostasiens und Südafrikas. Eine vergleichende Studie von fünf großen landwirtschaftlichen Regionen – Nordostchina, Brasilien, dem US-amerikanischen Maisgürtel, dem Donaudelta und Argentinien – kommt indes zu der Erkenntnis, dass ein Übermaß an Wasser ebenso wie eine Verschiebung der Niederschläge noch schwerer wiegende Folgen auf die Landwirtschaft haben kann als Trockenheit.

Schließlich wird der Klimawandel Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit haben, etwa über veränderte Krankheitserreger oder ihre weitere Verbreitung. Obwohl zu dem Thema erst wenige wissenschaftliche Untersuchungen vorliegen, darf vermutet werden, dass auch diesbezüglich die Auswirkungen Entwicklungsländer in subtropischen und tropischen Regionen stärker treffen werden als die Industrieländer bzw. den Norden. Es wird etwa erwartet, dass die geographische Ausbreitung von Malaria und Dengue-Fieber zunimmt, so dass auch höher liegende Regionen betroffen werden, die bislang verschont blieben. Schätzungen zufolgen hat der Klimawandel bereits bis heute zu zusätzlichen 150.000 Todesfällen und 5 Mio. Ansteckungen durch Malaria geführt; bei einer Erwärmung um 2°C könnten im Jahr 2050 gar 180 bis 250 Mio. Menschen mehr von Malaria infiziert werden.

Der Klimawandel untergräbt die Existenzrechte…

Die Ungleichverteilung der Schäden macht deutlich, dass die Folgen des Klimawandels in zukünftigen Auseinandersetzungen um globale Gerechtigkeit einen wichtigen Stellenwert einnehmen werden. Denn weit davon entfernt, lediglich ein Naturschutzthema zu sein, wird Klimawandel die unsichtbare Hand hinter wirtschaftlichem Niedergang, sozialer Erosion und Vertreibung aus der Heimat sein. Übereinstimmend erwarten einschlägige Untersuchungen, dass die Entwicklungsländer und in ihnen besonders kaufkraftschwache Gruppen auf dem Lande die destabilisierenden Folgen der Erderwärmung wesentlich schroffer zu spüren bekommen werden als Industrieländer und Stadtbevölkerungen.

Die Folgen des Klimawandels können dabei direkte Auswirkungen auf Menschen- bzw. Existenzrechte haben. Schon heute sind beispielsweise die in den arktischen Regionen Kanadas lebenden Inuit aufgrund gestiegener Temperaturen in ihrer wirtschaftlichen Sicherheit und in ihrer Kultur gefährdet. Jäger verschwinden auf der Jagd, da die herkömmlichen Routen über das Eis nicht mehr tragfähig sind; Vorräte verderben, weil der Permafrostboden aufbricht; Iglus verlieren ihre isolierende Eigenschaft, wenn der Schnee taut und dann wieder gefriert. Und schließlich führt das Abtauen der Ufer zu einem Abfluss von Süßwasser mitsamt Fischpopulationen in die Arktische See.

Ebenso unmittelbar werden die Menschenrechte der 2,5 Mrd. Menschen weltweit gefährdet sein, die direkt von der Landwirtschaft leben. Vor allem für jene, die Subsistenzwirtschaft betreiben und praktisch keine anderen Mittel zur Verfügung haben als ihr Land, ihre Tiere und ihre Ernten, werden die Auswirkungen des Klimawandels existentiell sein. Menschen, die weitgehend in landwirtschaftlicher Selbstversorgung leben, beziehen zudem einen wesentlichen Teil ihrer Lebensmittel aus ihrer natürlichen (wilden) Umwelt; eine Untersuchung für Bangladesh etwa fand heraus, dass die ländliche Bevölkerung dort mindestens 40% des Nahrungsgewichts und die größte Menge des erforderlichen Nährstoffgehalts von Flächen oder Gewässern bezieht, die nicht bewirtschaftet werden. Wenn aber die Erdatmosphäre sich erwärmt, wird die Natur instabil; nicht nur Ernten werden in Mitleidenschaft gezogen, sondern auch die Gastlichkeit der Lebensräume von Pflanzen, Tieren und nicht weniger von Menschen, die unmittelbar von der Natur leben. Daher wird für besonders betroffene ländliche Regionen und Gemeinden das Klimachaos gleichzeitig ein soziales und ökonomisches Chaos entfachen.

Die Treibhausgasemissionen abzusenken ist deshalb nicht nur für den Schutz der Atmosphäre geboten, sondern auch für den Schutz der Menschenrechte. Seit der Bill of Rights, die während der englischen Revolution erkämpft wurde, bildet das Recht auf physische Unversehrtheit den Kern des Menschenrechtskanons, zu dessen Garantie die Staaten sich verpflichtet haben. Doch Millionen Menschen sind dabei, dieses Kernstück der Bürgerrechte zu verlieren: Lebens-Mittel wie Wasser, fruchtbare Böden, eine Heimstatt und eine infektionsfreie Umwelt. Klimawandel stellt einen Angriff auf die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte großer Bevölkerungsgruppen dar. Nur geht in diesem Fall die Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit nicht von der Staatsmacht aus, sondern von den kumulativen und ferntransportierten Wirkungen des Energieverbrauchs in den wohlhabenden Teilen der Welt. Emissionsarme Ökonomien im Süden und Norden durchzusetzen, ist daher weit mehr als ein Appell an die Moral; es ist eine Kernforderung kosmopolitischer Politik.

…und die Klimapolitik behindert die Entwicklungsrechte

Nicht nur untergräbt die globale Erwärmung die Menschenrechte insbesondere der Mittellosen. Es mehrt sich der Verdacht, dass gleichzeitig die Klimapolitik, die den Klimawandel mildern soll, die Entwicklungschancen besonders der ärmeren Länder behindern könnte. Das Tauziehen um Entwicklung und Emissionen hat seinen Niederschlag in zwei zusammenhängenden völkerrechtlichen Verträgen gefunden: Der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen von 1992 (UNFCCC) und dem Kioto-Protokoll von 1997. Während die Klimakonvention einen Rahmen für die Kooperation in wissenschaftlicher und politischer Hinsicht setzt, geht das Kioto-Protokoll darüber hinaus und stellt rechtlich verbindliche Minderungsverpflichten für Industriestaaten auf. Zentrale Zielsetzung des Rahmenvertrages ist gemäß Artikel 2 die Verpflichtung, „eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems“ zu verhindern. Doch mit dieser Definition gingen die Probleme erst los. Welches Ausmaß an Erderwärmung ist hinnehmbar? Wann kann eine Störung des Klimasystems gefährlich werden – und für wen? Und letztlich: wer muss wie viel an Emissionen vermeiden?

Das Kioto-Protokoll hat zwar ein Regime geschaffen, indem nach vielen Jahren langwieriger Verhandlungen endlich konkrete Treibhausgasminderungen vereinbart wurden. Doch in mehrfacher Hinsicht zeigt sich das Abkommen blind gegenüber Aspekten der Gerechtigkeit. Erstens sind diese Minderungen bei weitem zu gering, um gefährliche Auswirkungen des Klimawandels tatsächlich zu vermeiden. Den Berechnungen nach ist bereits bis zum Jahre 2050 ein Rückbau der globalen CO2-Emissionen um 45 bis 60% resp. um 80 bis 90% in den Industrieländern erforderlich. Das Kioto-Protokoll mit seinen offiziellen Reduktionsverpflichtungen von durchschnittlich 5,2% gegenüber 1990 für die Industrieländer bis zum Jahre 2012 bleibt weit hinter diesem Anspruch zurück. Und die tatsächlichen Reduktionen sind aufgrund vieler Schlupflöcher noch viel geringer. Zu groß erschien in Kioto offenbar die Aufgabe, langfristige Minderungen zu vereinbaren, die den Anstieg der Temperatur unter einer bestimmten Schwelle, etwa unter 2°C, halten würden. Zudem mangelt es dem Abkommen an „Zähnen“, die die Umsetzung der Ziele gewährleisten. Und so zeigen sich die meisten Industrieländer bisher – allen voran der Hauptemittent USA, der sich dem Vertrag ganz entzieht – unwillig zur Veränderung; die Emissionen wurden nicht wie vereinbart gedrosselt, sondern sind in den meisten Ländern seit der Konferenz in Kioto noch gestiegen.

Zweitens erweist es sich aus heutiger Sicht als defizitär, dass im Kioto-Protokoll die Schwellenländer noch ohne Beschränkungen davonkommen. Zwar war es legitim, dass 1992 in Rio die Vorreiterrolle der Industrieländer festgeschrieben wurde, da diese für den Großteil der gegenwärtigen wie auch der vergangenen Emissionen verantwortlich sind. In der Folge wurden unter dem Kioto-Protokoll lediglich die Industriestaaten zur Umsetzung von Minderungszielen verpflichtet. Die Länder des Südens konnten für sich so die Freiheit wahren, ihre Emissionen zu steigern, um „ihre sozialen und Entwicklungsbedürfnisse befriedigen“ zu können. Doch sind die Länder des Südens beileibe nicht gleich ‚unschuldig’ am Klimawandel. Zum einen gibt es eine Gruppe sich rasch industrialisierender Schwellenländer, die im CO2-Emissionsniveau den Industrieländern dicht auf den Fersen sind. Schon heute etwa ist China der weltweit zweitgrößte Emittent nach den USA. Zum anderen sind nicht nur Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger klimaschädlich, sondern auch großflächige Änderungen in der Landnutzung. So führt der Kahlschlag des Regenwalds, die Austrocknung von Mooren oder der Brandrodungs-Feldbau in der Landwirtschaft zu beträchtlichen Treibhausgasemissionen, die zu einem guten Teil auf das Konto von nur einigen wenigen Länder des Südens gehen. Schließlich würden inzwischen die Emissionen alleine der Länder des Südens die Aufnahmekapazität der Atmosphäre schon jetzt überfordern, selbst wenn alle Industriestaaten wie durch Zauberhand plötzlich verschwänden.

Drittens sind die Regeln zur Verteilung der Emissionsrechte im Kioto-Protokoll problematisch. Denn bei der Zuweisung der einzusparenden Emissionen auf die einzelnen Länder ging es in Kioto alles andere als fair zu, eher wie auf einem Basar. Mithilfe von Verhandlungsgeschick, politischer Macht, Sturheit und Chuzpe haben die Industrieländer nicht nur einschneidende Emissionsminderungen für sich verhindert; sie konnten die Reduktionsverpflichtungen darüber hinaus an ihre historischen Emissionswerte koppeln. Dieses Verteilungsprinzip, das auch als Grandfathering bezeichnet wird, folgt der Regel: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Es akzeptiert die gegenwärtig ungleiche Verteilung der Emissionen und legt allen – den größten Klimasündern wie den effizientesten Staaten – die gleichen Minderungspflichten auf. Das Grandfathering zementiert die Wohlstandsklüfte in der Welt und kann daher schwerlich gerecht genannt werden. Genau deswegen fürchten auch die Schwellen- und Entwicklungsländer, in Zukunft selbst Minderungspflichten übernehmen zu müssen: würde dies wieder nach dem Prinzip des Grandfathering erfolgen, ist ausgemacht, dass ihre Entwicklungschancen im Vergleich zu den Industrieländern drastisch beschnitten würden.

Zudem wurde viertens in Kioto ausgeblendet, dass es bei der Begrenzung von Treibhausgasen um die Wahl zwischen Menschenrechten und Wohlstandsrechten geht. Indem ein Handel mit Emissionszertifikaten vereinbart wurde, der das Recht, zu emittieren, auf dem Markt käuflich macht, wurde übersehen, dass damit potentiell die ärmeren Länder und Bevölkerungsgruppen doppelt benachteiligt werden: die global Reichen verschulden nicht nur den Löwenanteil des Klimawandels, während größere Teile der mehrheitlichen Restwelt die Zeche bezahlen; nun haben sie sich durch den Emissionshandel auch noch in die privilegierte Position katapultiert, die Verschmutzungsrechte den Mittellosen nötigenfalls abkaufen zu können. Dabei ist nicht nur mit Blick auf die Verursachung des Klimawandels, sondern auch bei der Frage, wie die Emissionsrechte verteilt werden, eine Unterscheidung zwischen Überlebens-Emissionen und Luxus-Emissionen zu treffen. Denn eine arme Bäuerin in Bengalen, die durch den Reisanbau für ihren Lebensunterhalt Methanemissionen freisetzt, kann nicht in gleichem Maße für den menschgemachten Klimawandel zur Verantwortung gezogen werden wie ein reicher Sportwagenfahrer in Düsseldorf.

Schließlich behandelt das Kioto-Protokoll nur am Rande das Problem, dass es gerade jenen Menschen, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, an Mitteln mangelt, sich auf seine Auswirkungen vorzubereiten und erfolgte Klimaschäden zu kompensieren. Denn ungeachtet dessen, wie ambitioniert die Emissionsreduktionen in Zukunft ausfallen, haben sich im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte schon derart viele anthropogen verursachte Treibhausgase in der Atmosphäre angesammelt, das der Klimawandel gar nicht mehr zu stoppen ist, selbst wenn wie durch ein Wunder morgen sämtliche Emissionen aussetzen würden. Das Kioto-Protokoll hat zwar einen Fonds etabliert, der den Süden bei der Anpassung an den Klimawandel unterstützen soll. Doch das Finanzvolumen dieses Fonds bewegt sich auf bescheidenem Niveau. Und weder die Zahlungen in den Fonds noch der Mittelabfluss sind an Prinzipien der Gerechtigkeit gekoppelt.

Leitlinien für eine gerechtigkeitsfähige Klimapolitik

Inzwischen wird heiß diskutiert, wie es in der Zeit nach 2012, bis zu der das Kioto-Protokoll die politische Antwort auf den menschgemachten Klimawandel vorgibt, weitergehen wird. Mit einem Abkommen ‚Kioto-plus’ fordern viele, dass das bestehende Klimaregime ausgebaut und reformiert werden sollte, um auch in Zukunft auf internationaler Ebene verbindliche Ziele und Zeitpläne (‚targets and timetables’) für den Klimaschutz zu garantieren; ein Abkommen ‚post-Kioto’ fordern andere, die eine weitgehende Neugestaltung des Klimaregimes wünschen. Die Reform des internationalen Klimaregimes erfordert Arbeit auf vielen Baustellen, von denen die folgenden vier besonders wichtig sind: die Neubestimmung der Reduktionsziele für Emissionen, die Verteilung der Emissionsrechte, die Reform des Emissionshandels und die Vertiefung von Politiken und Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel.

Um die Auswirkungen des Klimawandels langfristig unter einer Erwärmung von 2°C zu halten, sind drastische Einschnitte bei den Treibhausgasemissionen erforderlich. Aufgrund ihrer historischen Verantwortung werden auch in der Zeit ab 2013 die Industriestaaten noch einmal vorangehen und den Löwenanteil der Emissionsminderungen erbringen müssen. Da es dieses Mal nicht mehr darum geht, Institutionen zu etablieren und Vertrauen in die Klimapolitik aufzubauen, wird nun allerdings richtig zugepackt werden müssen: Ein scharfer Einschnitt binnen weniger Jahre – etwa minus 30% Emissionen bis 2020 – muss eine klare Maßgabe für Investitionen in Infrastrukturen und Technologien darstellen. Und eine langfristige Rahmenvereinbarung muss einen Pfad festschreiben, der bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts weitergehende Emissionsminderungen vorgibt. Gleichzeitig werden auch die Länder des Südens stufenweise Verpflichtungen übernehmen müssen, damit die globalen Emissionen spätestens im Jahr 2020 ihren Scheitelpunkt erreichen. Dabei sind faire, nachvollziehbare Differenzierungen zwischen so unterschiedlichen Ländern wie Burkina Faso oder Südkorea zu entwickeln; letzteren würden gewisse Emissionssteigerungen erlaubt, erstere müssten sich auch schon für die nächste Verpflichtungsperiode nach 2012 auf Beschränkungen einstellen. Eine Differenzierung zwischen den Ländern sollte die jeweilige historische Verantwortung der Länder widerspiegeln, die unterschiedlichen wirtschaftlichen Kapazitäten berücksichtigen und das spezifische Vermeidungspotential der Länder abwägen. Ohne eine Integration der wichtigsten Länder des Südens indes sind weder die Existenzrechte der Armen noch die Freiheitsrechte der weniger entwickelten Nationen zu wahren.

In der langen Frist sollte die Verteilung der Emissionsrechte jedoch nicht der Diplomatie und den politischen Verhandlungen überlassen bleiben. Stattdessen sollten objektive Kriterien für einen Verteilungsschlüssel definiert werden. Am klarsten und gerechtesten wäre dabei eine Gleichverteilung der Emissionsrechte Pro-Kopf der Bevölkerungen anzustreben. Dieser Ansatz folgt dem Gedanken, dass ein globales Gemeinschaftsgut nicht allen Staaten, sondern allen Menschen gehört, folglich vom Prinzip her jedem Erdenbürger das Recht auf gleichen Zugang zur Atmosphäre zukommt. Damit ruht der Ansatz auf der Gleichstellung aller Menschen, wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert ist. Auch das Ziel sich annähernder Pro-Kopf-Emissionen erfordert zunächst höhere Reduktionsleistungen von Industriestaaten. Es erfüllt die Mindestbedingung an eine gerechte Verteilung, bestehende Ungleichheiten nicht zu verschärfen sondern zu mildern. Zudem folgt es auch der Forderung, dass die Reduktionspflichten den unterschiedlichen wirtschaftlichen Kapazitäten der Staaten Rechnung tragen sollten. Wird es mit dem Emissionshandel verbunden, kann durch die Einnahmen aus dem Verkauf überschüssiger Emissionsrechte sogar ein Beitrag zur Verminderung der globalen Kluft zwischen Armen und Reichen entstehen. Dies entspräche auch der Milleniums-Deklaration der Vereinten Nationen, die auf dem Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung in Johannesburg im Herbst 2002 noch einmal die Armutsbekämpfung als zentrales Ziel bekräftigt hat.

Allerdings sollte der Emissionshandel dahingehend reformiert werden, dass kaufkräftige Staaten den ärmeren Ländern ihre Emissionsrechte nicht so weit abkaufen können, dass ihre Entwicklungschancen beeinträchtigt werden. Der Handel mit Emissionsrechten darf die Handlungsfreiheit der Marktakteure nicht über die Erfüllung der Menschenrechte stellen. Eine Dignitäts-Linie könnte festlegen, dass jedes Land eine bestimmte Menge an Emissionsrechten, nämlich die Summe von Mindest-Pro-Kopf-Emissionen, halten müsste und erst über diesem Sockelbetrag seine Emissionsrechte veräußern darf. Weder reiche Vielverbraucher-Länder noch korrupte Eliten oder Despoten aus totalitären Regierungen des Südens gerieten dann in die Versuchung, den ärmsten Menschen auf diesem Planeten ihre Existenzrechte streitig zu machen oder ihre Entwicklungsrechte vorzuenthalten.

Schließlich muss das Klimaregime in Zukunft besser der Tatsache Rechung tragen, dass die Erderwärmung bisher in erster Linie von den Industrieländern verursacht wurde, die Länder des Südens aber das Gros seiner Auswirkungen zu tragen haben. Ohne einem Schwerpunkt auf die Anpassung an den Klimawandel wird Klimapolitik nie gerecht sein. Nach dem Verursacher-Prinzip stehen die Industrieländer heute schon in der Verantwortung, Entschädigung für die Kosten Unbeteiligter zu leisten. Erforderlich ist schon jetzt, die medizinische Grundversorgung zu verstärken, Deiche zu erhöhen, Bewohner von Hochwasser gefährdeter Gebiete umzusiedeln und so weiter. Über solche Hilfen zur Anpassung an den Klimawandel mochten die Industrieländer bislang nur am Rande diskutieren. Anpassungsmaßnahmen reichen dabei von Geldern für Sofort-Hilfe Maßnahmen vor Ort bis hin zum Aufbau von nationalen Versicherungssystemen. Die größte Herausforderung wird sein, verlässliche Geldströme vom Norden zu lokalen Gemeinschaften in den Süden zu etablieren, um größte Effekte vor Ort sicher zu stellen. Indes bedeutet Anpassung an den Klimawandel nicht nur den Deichbau oder die Umsiedlung der Bewohner von Tuvalu. Sie erfordert auch die Unterstützung der Länder in ihrem Unterfangen, sich eine Wirtschaftsstruktur aufzubauen, die auf erneuerbare Energien fußt. Weil die Aufnahmekapazität der Atmosphäre an ihre Grenzen stößt, haben sie nicht mehr die Freiheit, durch ‚nachholende Entwicklung’ fossile Produktions- und Konsummuster aus dem industrialisierten Norden zu importieren. Anpassung umfasst daher auch die erforderliche Hilfe für einen Sprung in die post-fossile Wirtschaftsweise.