Digitalisierung als Treiber einer sozial-ökologischen Transformation? Stellungnahme zur Umweltpolitischen Digitalagenda” des Bundesumweltministerium

Veröffentlicht als: Kern, Florian/ Santarius, Tilman (2020): Digitalisierung als Treiber einer sozial-ökologischen Transformation? In: ökologisches wirtschaften Nr. 2, 2020, S. 8-9.

Im März 2020 veröffentlichte das Bundesumweltministerium die Umweltpolitische Digitalagenda (BMU 2020). Das Ziel der Agenda ist es, die Digitalisierung klimafreundlich zu gestalten und diesen epochalen Wandlungsprozess für Wohlstand, soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz zu nutzen. Die Agenda enthält ambitionierte Ziele sowie mehr als 70 Maßnahmen. Mit der Agenda wird das BMU zweifelsohne zu einem Vorreiter: Die Umweltpolitische Digitalagenda ist die erste nationale Strategie weltweit, die Digitalisierung und Umweltschutz derart konsequent verbindet und aktiv gestalten möchte.

Aus unserer Sicht stellt die Agenda einen wichtigen Beitrag zur Gestaltung eines der bedeutendsten Innovationsfelder der heutigen Zeit dar. Sie nimmt Digitalisierung nicht als autonomen Mega-Trend hin, sondern ordnet sie Nachhaltigkeitszielen unter – allem voran dem Klimaschutz. Die Digitalagenda des BMU ist daher ein äußerst begrüßenswerter Schritt dahin, die Digitalisierung als Treiber einer sozial-ökologischen Transformation (Lange und Santarius 2018) zu gestalten. Dabei ist es begrüßenswert, dass der Fokus nicht ausschließlich auf den technischen Möglichkeiten der Digitalisierung liegt, sondern auch die Förderung von sozialen Innovationen mitdenkt; beispielsweise ist eine ‚digitale Plattform für sozial-ökologische Innovationen‘ vorgesehen. Dies ist wichtig, weil die Forschung darauf hinweist, dass Transformationsprozesse nicht nur technischen Wandel umfassen, sondern auch Veränderungen von Konsumpraktiken, Infrastrukturen, Politiken, der Kultur sowie von bestehenden Geschäftsmodellen erfordern (Geels 2018).

Steigender Stromverbrach und Rebound-Effekte werden zu wenig adressiert

Während die Agenda vielversprechende Maßnahmen wie langlebigere Geräte oder besseres Recycling vorsieht, wird der wachsende Stromverbrauch der Digitalisierung nicht ausreichend adressiert. Streaming beispielsweise ist die energieintensivste digitale Dienstleistung im Endkundenbereich. Die Agenda kündigt an, ‚mit großen Anbietern ins Gespräch zu kommen‘ und eine ‚Prüfung verpflichtender Vorgaben‘ vorzunehmen. Für Rechenzentren möchte sich das BMU aber nur für eine ‚einheitliche statistische Erfassung‘ einsetzen. Diese Vorschläge greifen zu kurz. Die Digitalagenda liefert zu wenig Ansatzpunkte, wie wachsende Stromverbräuche abgemildert werden könnten. Es fehlen etwa strikte Verbrauchsstandards für Rechenzentren, verbindliche Anforderungen, dass deren Abwärme für die Wärmeversorgung genutzt wird, oder die Forderung, dass Rechenzentren mit 100 % Ökostrom betrieben werden müssen.

Hinzu kommt die Herausforderung, dass Rebound-Effekte das Einsparpotenzial von digitalen Anwendungen schmälern können. Es ist lobenswert, dass die Agenda anerkennt, dass Digitalisierung zu Rebound-Effekten führen kann und das BMU anstrebt, diese Effekte zu minimieren. Wie genau Rebound-Effekte reduziert werden sollen, bleibt jedoch unklar. Die Agenda verweist unkonkret auf die Notwendigkeit eines politischen Ordnungsrahmens; als einzig konkretes Instrument wird ein ‚kommunales Netzwerk für nachhaltige digitale Verkehrswende‘ angekündigt. Aus unserer Sicht wäre es nötig, die Förderung von Energie- und Ressourceneffizienz mit stärkeren ökonomischen Anreizen (z.B. Strom- oder CO2-Steuern) sowie mit flankierenden Suffizienz-Strategien zu kombinieren um eine absolute Reduktion des Verbrauchs zu erzielen.

Ein umfassender Politik-Mix ist nötig, nicht hauptsächlich „weiche“ Instrumente

Landwirtschaft, Mobilität, Industrie – die Digitalagenda möchte in allen zentralen Bereichen einer sozial-ökologischen Transformation Maßnahmen umsetzen. Als Leser gewinnt man den Eindruck, dass viele der Maßnahmen auf ‚weichen‘ umweltpolitischen Instrumenten beruhen, während einige der Ziele vermutlich durch Regulierung effektiver erreicht werden könnten. Zum Beispiel wird in der Agenda gefordert, ein Reporting zu Umweltschäden bei Rohstoffgewinnung in die europäische CSR-Richtlinie aufzunehmen, anstatt verpflichtende menschenrechtliche und ökologische Mindeststandards anzustreben. Damit Hardware länger hält, strebt das BMU eine „Garantieaussagepflicht“ der Hersteller an. Zielführender wäre, die Garantiedauer für Verbraucher/innen zu verlängern und Garantieansprüche zu verbessern.

Ordnungspolitische Instrumente adressiert die Agenda zu vage oder verspricht nur, dass sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene für entsprechende Regelungen einsetzen möchte, wie etwa bei der EU Ökodesign-Richtlinie. Einerseits ist es richtig, gemeinsame Regelungen auf Europäischer Ebene anzustreben; andererseits bleibt abzuwarten, was die Bundesregierung dort tatsächlich erreichen kann. Das Fehlen von „harten“ ordnungspolitischen Maßnahmen ist auch deshalb problematisch, weil die Forschung ausdrücklich darauf hinweist, dass ein breiter Instrumenten-Mix notwendig ist um eine sozial-ökologische Transformation anzustoßen und zu beschleunigen (Kivimaa und Kern 2016). Die Umweltpolitische Digitalagenda sollte daher durch innovationspolitische, industriepolitische wie auch wirtschafts- oder sozialpolitische Maßnahmen ergänzt werden.

Zukunftsfähige Digitalisierung erfordert Abstimmung mit anderen Ressorts – und mit Wissenschaft und Zivilgesellschaft

Ein solcher Politik-Mix geht weit über den Geschäftsbereich des BMU hinaus. Insofern ist dieser Einwand keine Kritik am BMU. Im Gegenteil ist es begrüßenswert, dass das BMU mit der Agenda gegenüber den anderen Ressorts einen wegweisenden Aufschlag unterbreitet hat, um die Energie-, Mobilitäts- und Agrarwende und den Einstieg in die Kreislaufwirtschaft zu beschleunigen. Es bleibt abzuwarten, ob es dem BMU in den nächsten Monaten und Jahren gelingt, auch das  Bundesforschungsministerium, das Wirtschafts- und Verkehrsministerium in das Anliegen einzubinden, die Digitalisierung klar mit dem Ziel einer sozial-ökologischen Transformation zu gestalten.

Insofern begrüßen wir die Bereitschaft des BMU, die Digitalagenda als ersten Schritt zu betrachten, dem ein Update folgen sollte. Unser Beitrag beinhaltet erste Anregungen für solch ein Update. Ein nächster Schritt könnte es sein, verstärkt Diskursräume durch transdisziplinäre Projekte oder Plattformen zu schaffen, die die Digitalagenda weiterdenken und entsprechende politische Allianzen fördern. Wirtschaft, Ingenieurs- und Naturwissenschaften und Politik sollten mit Sozialwissenschaften und Zivilgesellschaft zusammenarbeiten, um die Agenda weiterzuentwickeln. Auch kritische Technik-Initiativen wie der Chaos Computer Club und umwelt-, entwicklungs- oder verbraucherpolitische Verbände können aus unserer Sicht wichtige Impulse liefern.

Literatur

BMU 2020 Umweltpolitische Digitalagenda, https://www.bmu.de/download/umweltpolitische-digitalagenda/

Geels, F. W. (2018). Socio-technical transitions to sustainability. In: Oxford Research Encyclopedia of Environmental Science.

Kivimaa, P., & Kern, F. (2016). Creative destruction or mere niche support? Innovation policy mixes for sustainability transitions. Research Policy, 45(1), 205-217.

Lange, S., & Santarius, T. (2018). Smarte grüne Welt. Digitalisierung zwischen Überwachung, Konsum und Nachhaltigkeit.