Auf dem Weg in die vernetzte (Verbraucher-)Zukunft – Widersprüche der Digitalisierung für den nachhaltigen Konsum

Veröffentlicht als: Santarius, Tilman (2019): Auf dem Weg in die vernetzte (Verbraucher-)Zukunft – Widersprüche der Digitalisierung für den nachhaltigen Konsum. In: Bättel-Mink, Birgit/ Kenning, Peter (Hrsg.): Paradoxien des Verbraucherverhaltens. Dokumentation der Jahreskonferenz 2017 des Netzwerks Verbraucherforschung. Wiesbaden, S. 101-111.

„Alles wird sich ändern, es wird eine neue Welt!“ Dieser prophetische Ruf aus der IT-Branche ist inzwischen zur gängigen öffentlichen Einschätzung der gesellschaftlichen Tragweite der Digitalisierung geworden. Unzählige Zeitungsartikel und Blogbeiträge zur Digitalisierung beginnen mit der Aussage, dass diese unser Leben von Grund auf umkrempeln wird. Der Bereich des individuellen Konsums ist augenscheinlich ein gutes Beispiel, welche ambivalenten Wirkungen der gesellschaftliche Megatrend der Digitalisierung mit Blick auf die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung üben kann. Der folgende Beitrag geht der Frage nach, welche Chance und Risiken Digitalisierung für den nachhaltigen Konsum bereithält, und welche politischen Maßnahmen einen ‚nachhaltigen digitalen Konsum’ begünstigen können.
Online-Shopping gehört in den früh industrialisierten Ländern längst zum Alltag eines signifikanten Anteils der Bevölkerung. Wie wirkt sich die Digitalisierung darauf aus, welche Produkte und Dienstleistungen wir konsumieren? Und wie beeinflusst sie das Konsumniveau insgesamt? Für eine sozial-ökologische Transformation unserer Konsumweisen wären zwei Entwicklungen wichtig: Es müssten zum einen verstärkt nachhaltigere Produkte und Dienstleistungen konsumiert werden. Zum anderen müsste das Konsumniveau in Deutschland und vielen anderen Ländern insgesamt sinken.

1. Optionensteigerung für nachhaltigen Konsum
Für jene Menschen, die nachhaltiger konsumieren möchten, eröffnet die Digitalisierung großartige neue Optionen und Chancen. Erstens steigert Digitalisierung die Verfügbarkeit nachhaltiger Produkte und Dienstleistungen. Ökologisch erzeugte Lebensmittel sind heute überall erhältlich, und auch nachhaltige Textilien, die im stationären Einzelhandel nach wie vor, sogar in Großstädten, meist nur sehr verstreut erhältlich sind, können unkompliziert online bestellt werden. Mehrere alternative Online-Marktplätze, wie der Avocadostore, Fairmondo oder Glore, haben sich ganz auf das Angebot nachhaltiger Produkte spezialisiert. Und dank Informationssuche im Internet lassen sich die Herstellungsbedingungen von Produkten jeder Art leichter gegeneinander abwägen. Mit Apps wie Codecheck oder Get Neutral erhalten Konsument*innen über einen Scan des Barcodes in Echtzeit Indikatoren zu Umweltwirkungen einzelner Güter, wie den ökologischen Fußabdruck oder Treibausgasemissionen, oder zu Gesundheitswirkungen wie der Toxizität. Für Menschen, die nachhaltig und achtsam konsumieren möchten, bedeutet die Digitalisierung einen wahren Quantensprung.
Zweitens bietet das Internet den größten Flohmarkt der Welt: Online-Börsen wie Ebay-Kleinanzeigen oder Rebuy ermöglichen es, gebrauchte Waren zu erwerben und wenig genutzte Produkte wieder zu veräußern. Bei Kleiderkreisel kann man gebrauchte Kleidung verkaufen oder kaufen und über Freecycle alles Mögliche verschenken und tauschen. Zudem bietet die so genannte ‚Sharing Economy‘ mannigfaltige Möglichkeiten, um auf Neukauf verzichten zu können. Plattformen oder Apps vermitteln privates Teilen unter Fremden, was als ‚peer to peer-Sharing‘ bezeichnet wird. Und dieses peer to peer-Sharing bietet sich dafür an, den Individualkonsum zu reduzieren und damit Ressourcen einzusparen.
Drittens bietet die Digitalisierung die Grundlage für einen möglichen Durchbruch beim sogenannten ‚Prosuming‘: Menschen müssen heute nicht mehr nur passiv konsumieren, was die Industrie hergestellt hat, sondern können selber zu Herstellenden werden und ihre Angebote anderen unentgeltlich oder ‚gering-kommerziell‘ zur Verfügung stellen. Aus Sicht des nachhaltigen Konsums wird auch hier deutlich: Digitalisierung ermöglicht Konsum, ohne dass lange Transportwege, aufwendige Vertriebskanäle oder die Werbeindustrie nötig sind.
So bietet die Digitalisierung bisher zahlreiche Optionen, um auf den Neuerwerb von Produkten zu verzichten, das eigene Konsumniveau zu senken und verstärkt umweltfreundliche und fair erzeugte Waren aus lokaler beziehungsweise nachbarschaftlicher, gering-kommerzieller Erzeugung zu wählen. Aber wie eine Umfrage des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung zeigt, ist der Stand des Wissens über transformative Konsumpraktiken in Deutschland noch gering (siehe Abbildung 1). Zugleich zeigt der allgemeine Konsumtrend, dass diese Optionen gesamtgesellschaftlich bislang noch zu wenig genutzt werden. Bei den Positivbeispielen handelt es sich nach wie vor um kleine Nischenanbieter. Die Nutzerzahlen grüner Apps, Plattformen und nachhaltigkeitsorientierter Webseiten aller Art sind im gesamtgesellschaftlichen Durchschnitt sehr klein. Die Umsatzzahlen vom Avocadostore und Fairmondo verschwinden vor den Zahlen von Amazon. Auch das Prosuming ist nach wie vor ein Nischenphänomen. Und selbst Ebay – das Paradebeispiel für Gebrauchthandel im Internet – wird zunehmend zu einem Handelsplatz für Neuware; 2008 waren noch die Hälfte der gehandelten Produkte auf Ebay Gebrauchtwaren, 2016 lag der Anteil bei nur noch 20 Prozent.

2. Effizienzsteigerung des Massenkonsums
Während der nachhaltige digitale Konsum also nach wie vor nur in Nischen stattfindet, nimmt der Online-Handel in Summe deutlich zu. Zwar machten im Internet verkaufte Produkte im Jahr 2016 erst zehn Prozent des gesamten Handels aus – auch wenn inzwischen zwei Drittel aller Deutschen online einkaufen. Doch sowohl anteilig als auch in absoluten Zahlen steigt der Online-Handel Jahr für Jahr rasant an – im Durchschnitt der letzten zehn Jahre um satte 17 Prozent jährlich (siehe Abbildung 2). Das wäre aus Nachhaltigkeitssicht noch nicht problematisch, wenn der Konsum im stationären Einzelhandel entsprechend schrumpfen würde. Doch dies ist nicht der Fall. Der herkömmliche Handel wächst ebenfalls weiter an, wenngleich im Schnitt nur noch um ein Prozent pro Jahr. Trotz aller Optionen für den Wiederverkauf gebrauchter Waren, Prosuming und Sharing wirkt die Digitalisierung bislang insgesamt konsumsteigernd. Zu gering ist der Anteil jener Konsument*innen, die aus eigener Überzeugung digitale tools für nachhaltigen Konsum nutzen. Und zu groß sind die Marketingmacht der Shoppingplattformen, die Verführungskraft der smarten Algorithmen und die angestammten Konsumgewohnheiten des Gros der Bevölkerung, die durch das Angebot grüner Apps und alternativer Plattformen kaum verändert werden.
Es ist offensichtlich, dass Online-Shopping nicht nur die Effizienz und den Komfort bei Informationsbeschaffung und Kauf von alternativen Produkten und Dienstleistungen steigert, sondern auch von konventionellen: Verbraucher*innen sind nicht mehr auf Öffnungszeiten angewiesen, müssen sich noch nicht einmal von der Couch zum Laden bewegen, finden im Internet zudem das größtmögliche Angebot an Waren vor und können Produkteigenschaften und Preise optimal vergleichen. Automatische Bezahlsysteme wie PayPal haben das Online-Shopping zusätzlich beschleunigt. Die Digitalisierung wirkt konsumsteigernd, weil sie ermöglicht, rund um die Uhr, alle Tage des Jahres und an jedem beliebigen Ort zu shoppen. Entsprechend können empirische Studien einen Zusammenhang zwischen Effizienz- und Optionensteigerung bei den Einkaufsmöglichkeiten und dem Konsumniveau nachweisen. Beispielsweise zeigt eine repräsentative Untersuchung des Einkaufsverhaltens von 16.000 Befragten in den USA, dass mobiles Shopping vom Smartphone gegenüber Online-Shopping vom häuslichen PC zu häufigeren Bestellungen und größeren Bestellmengen führt.
Auch die Verknüpfung sozialer Medien mit Online-Shopping steigert den Konsum. Das Phänomen ist schon vom traditionellen Einkaufsbummel bekannt: Wenn eine Gruppe von Freund*innen gemeinsam zum Einkaufszentrum, zieht und Einkaufen als soziales Event zelebriert, steigert dies den Konsum. Ganz ähnlich wirken Facebook, Instagram, Pinterest, Twitter und andere soziale Netzwerke konsumanregend – nur mit dem Unterschied, dass die Konsumanreize jederzeit, überall und ohne den Aufwand ‚echter‘ Verabredungen ausgelöst werden können. Auch die Online-Shops sind in sozialen Netzwerken aktiv und platzieren Werbung, Sonderangebote oder Gutscheine – natürlich alles personalisiert. Denn weil sich die Verbraucher*innen auf den Plattformen austauschen, Informationen filtern, gegenseitig Produkte empfehlen, diese bewerten usw., wissen Verkäufer und Werbefirmen genau, was sie wem anbieten müssen, um am effektivsten zum Shoppen zu verführen. Eine vergleichende Studie hat in China, Hongkong, Taiwan, Deutschland, und Italien den Einfluss sozialer Medien auf den Kleiderkonsum und die Beschleunigung des Modemarkts (Fast Fashion) belegt: In Deutschland wird inzwischen jede vierte Frau von sozialen Medien oder diversen Fashion Blogs zum Kleiderkauf verführt; in China sind es sogar 72 Prozent der Befragten. Facebook und Instagram beeinflussen zudem Frequenz, Dauer und Ausgaben beim Shoppen: Wer sich von den sozialen Netzwerken in Sachen Mode angesprochen fühlt, shoppt häufiger, länger und gibt mehr aus (siehe Abbildung 3).

3. Digitale Generierung neuer Bedürfnisse
Um zu verstehen, wie Digitalisierung den Konsum ankurbelt, muss zudem die Erfassung und Auswertung der Daten von Nutzer*innen in den Blick genommen werden. Das Kaufen oder Nutzen aller Arten von Produkten und Dienstleistungen im Internet wird von den meisten Betreibern von Plattformen und Suchmaschinen gespeichert und anschließend ausgewertet. Wir hinterlassen eine detaillierte Spur all unserer Aktivitäten im Netz. Die gigantische Datenmenge, die dabei entsteht, wird Big Data (Massendaten) genannt. Doch dieser Begriff verschleiert, dass die großen IT-Konzerne für jede einzelne Nutzerin und jeden einzelnen Nutzer ein Profil der Präferenzen anlegen. Bei diesem ‚Profiling‘ werden alle denkbaren Informationen über uns gesammelt: unsere Arbeitsleistung, Kaufkraft, Aufenthaltsort, Gesundheit, persönlichen Vorlieben, Interessen, Mobilitätsgewohnheiten, Shoppingverhalten usw. Das lässt erschreckend genaue Aussagen über unsere Persönlichkeit zu. Anbietende Unternehmen und die Werbeindustrie schlachten diese individuellen Informationen dazu aus, Konsument*innen personalisierte Werbung anzubieten und so letztlich das Konsumniveau zu steigern.
Vieles deutet darauf hin, dass auch die Preise beim Online-Shopping inzwischen je nach Nutzer*in personalisiert angepasst werden. Bei Angeboten für Reisen konnte dies bereits belegt werden, in anderen Sektoren mangelt es noch an abschließenden Beweisen, um die zahlreichen Berichte von Nutzer*innen zu untermauern, die von Erfahrungen mit Preisdiskriminierung berichten. Auch die Personalisierung von Preisen dient dazu, den Konsum zu stimulieren – und zugleich den Unternehmen wachsende Profite zu bescheren. Schätzungen zufolge ändert allein Amazon täglich die Preise von ca. drei Millionen seiner Produkte, um einen undurchsichtigen Dschungel aus Sonderangeboten einerseits und periodischen Hoch-Preisen andererseits, Gutscheinaktionen hier und Rabattaktionen dort zu erzeugen, den auch Preisvergleichs-Suchmaschinen nur noch teilweise lichten können.
Ökologisch noch bedrohlicher könnte werden, dass die Internet-Konzerne sowie die gesamte von ihnen mit Daten und Beratungen belieferte werbetreibende Industrie nicht nur wissen, was wir gestern im Internet angeschaut, gelikt, kommentiert, weggeklickt, erworben oder auch verkauft haben. Zunehmend wissen sie auch, was wir morgen mögen werden – und zwar nicht nur sprichwörtlich, sondern faktisch. Beispielsweise schlägt uns Werbung im Netz weder immer die gleichen Produkte zum Kauf vor, noch werden per simplem Zufallsprinzip bloß alternative, verwandte Warengruppen angeboten. Vielmehr können sogenannte ‚suggestive Algorithmen‘ auf Basis von Big Data-Analysen, des Persönlichkeits-Profilings, Trendanalysen usw. zunehmend präziser vorhersagen, welche Waren wir künftig kaufen werden.

4. Politische Maßnahmen für die Stärkung eines nachhaltigen digitalen Konsums
Gleichwohl sich durch die Digitalisierung des Konsums einige vielversprechende Potentiale eröffnen, Formen und Umfang eines nachhaltigen Konsums zu fördern, werden hierdurch kaum bzw. zu wenige gesamtgesellschaftliche Effekte entstehen, so lange der nachhaltige digitale Konsum nicht durch entsprechende Anreizinstrumente und Rahmenbedingungen aktiv unterstützt wird. Dieser abschließende Abschnitt zeigt daher auf, wie insbesondere die Politik zu einer sozial-ökologischen Ausgestaltung der Digitalisierung beitragen kann. Der (nachhaltige) digitale Konsum spielt in politischen Programmen der EU oder Deutschlands derzeit noch keine Rolle. Genauso wenig findet er derzeit Beachtung im deutschen Nationalen Programm für nachhaltigen Konsum. Im Folgenden werden einige Elemente einer transformativen Digitalpolitik skizziert, die einen Beitrag zur Transformation des Konsums in Richtung Nachhaltigkeit leisten können.

Selektive Werbeverbote durchsetzen
Das Internet wird immer mehr zum zentralen Ort ökonomischen Austausches und gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse. Daher muss dieser Raum bewusst und klar politisch gestaltet werden. Seit Erfindung des Internets hat der Anteil von Werbung stetig zugenommen und inzwischen – so etwa auch nach Einschätzung von Tim Berners Lee, dem „Erfinder“ des WorldWideWeb –kritische Ausmaße angenommen. Um den Charakter des Internets als öffentliches Gut (Commons) aufrechtzuerhalten, sollten werbefreie Räume im Internet – beispielsweise auf Suchmaschinen und in soziale Medien – in Erwägung gezogen werden. Nachhaltiges Konsumverhalten und das Internet als Commons, sprich als öffentlicher Raum, in dem sich Produzenten und Konsument*innen auf Augenhöhe und ohne Machtasymmetrien begegnen, sind mit omnipräsenter und vor allem mit personalisierter Werbung nicht vereinbar. Denn insbesondere personalisierte Werbung basiert in der Regel auf Informationsasymmetrien: Die Werbefirmen verfügen über eine Menge Daten der Nutzer*innen, welche ihrerseits aber weder Informationen über den Umfang der gesammelten Informationen noch über die Algorithmen hinter der Personalisierung haben. Damit das Internet wieder stärker zu einem Raum für gleichberechtigten gesellschaftlichen Austausch und selbstbestimmten Konsum werden kann, plädieren wir für selektive Werbeverbote im Internet. Es steht außer Frage, dass dies das Kerngeschäft einiger der größten Konzerne der Welt berührt, allen voran von Google und Facebook. Doch sind Sorgen, dass solche Dienste ohne Werbung nicht existieren können, überzogen. Ggf. könnten für die Dienstleistungen von Suchmaschinen, Messenger-Diensten und sozialen Medien Nutzungsgebühren erhoben werden, anstatt dass Konsument*innen mit ihren persönlichen Daten „bezahlen“ müssen. Bereits heute gibt es etwa alternative Anbieter zu WhatsApp, zum Beispiel Threema, die den gleichen Service anbieten und bei denen Nutzer*innen die datensichere Kommunikation über einen einmaligen Beitrag bezahlen. Doch aufgrund der ‚natürlichen’ Monopolstellung von Facebook und weil die Gefahren der Machtasymmetrien in der Bevölkerung noch zu wenig thematisiert werden, erscheint es vielen Nutzer*innen bislang nicht attraktiv, auf diese Dienste zu wechseln. Ähnliches ließe sich für Suchmaschinen oder soziale Medien organisieren. Aufgrund der vielen Nutzer*innen dürften die Kosten pro Person äußerst gering sein. Dennoch haben die dominanten Plattformen kein Interesse an der Erhebung von Gebühren und zugleich einem strengerem Datenschutz; auch, weil sie die erhobenen Daten derzeit für den Aufbau neuer Geschäftsfelder, zum Beispiel der Künstlichen Intelligenz, nutzen können.

Passivitätsgebot einführen
Als zweite Maßnahme für die Stärkung eines nachhaltigen Konsums im Internet sollte ein allgemeineres Passivitätsgebot erwogen werden. Alle Akteure, kommerzielle wie nicht-kommerzielle, müssen sämtliche Praktiken unterlassen, die auf eine Manipulation von Konsument*innen abzielen. Wie kann die Politik ein solches Gebot umsetzen? Schauen wir uns einige Beispiele an: Zunehmend werden Bots – Computerprogramme, die Aufgaben weitgehend automatisch abarbeiten – eingesetzt, um menschliches Verhalten zu imitieren. Bots werden genutzt, um über Posts oder Tweets Meinungen in sozialen Medien zu beeinflussen oder um Produkte oder Dienstleistungen zu bewerten und zu bewerben – stets getarnt als vermeintlich authentische Konsument*innen. Es gibt bereits Bots, die darauf spezialisiert sind, besonders viele Daten einer bestimmten Person zu sammeln, um diese dann gezielt beeinflussen zu können. Wenn politisch geregelt wird, dass Bots grundsätzlich gekennzeichnet werden müssen, sind Nutzer*innen weniger gefährdet, subtil manipuliert zu werden. Ein weiteres Beispiel der Einflussnahme ist die personalisierte Informationsbereitstellung von Online-Plattformen aufgrund bestimmter Kriterien wie Alter, Wohnort, Nutzungsmuster oder Präferenzen. Das Passivitätsgebot würde vorgeben, dass Anbieter grundsätzlich transparent machen müssen, auf welchen Daten die Informationsbereitstellung beruht. Alle Nutzer*innen müssten die Möglichkeit haben, diese Kriterien jederzeit ändern zu können. Das Passivitätsgebot geht mit dem selektiven Werbeverbot Hand in Hand: Die Erfassung und Auswertung von Daten, die mit dem Ziel erfolgt, über personalisierte Werbung den Konsum zu steigern, muss weitgehend eingeschränkt werden. Ähnlich wie Werbeverbote würde ein Passivitätsgebot nachhaltige Konsumweisen erleichtern, das Internet stärker auf das Gemeinwohl ausrichten – und außerdem einen Fortschritt für den Datenschutz bringen.

Datensparsamkeit und Kopplungsverbot vollziehen
Noch einen Schritt weiter würden strenge gesetzliche Regelungen zur Einschränkung der ausufernden Datenerhebung gehen. Bereits heute gilt der datenschutzrechtliche Grundsatz der ‚Datensparsamkeit‘, wonach nur solche personenbezogenen Daten erhoben werden dürfen, die für eine konkrete Anwendung tatsächlich nötig sind. In der Praxis gibt es jedoch ein großes Vollzugsdefizit dieser Regel: Geschätzte 63 Prozent der von Apps gesammelten Daten haben keinerlei Nutzen für die Anwendung selbst , sondern dienen primär dazu, die Daten für weitere Zwecke wie Werbung zu nutzen oder sie zu verkaufen. Der wichtigste Schritt ist also, dafür zu sorgen, dass bestehende Bestimmungen eingehalten werden. Wenn Suchmaschinen, soziale Netzwerke, Kartendienste und sonstige Apps viele Daten gar nicht mehr erheben, weil sie es nicht dürfen, dann können sie sie auch nicht für Werbe- und konsumsteigernde Zwecke missbrauchen.
Ein weiterer Aspekt betrifft die Weitergabe von Daten – heute in der digitalen Ökonomie weit verbreiteter Usus. Die Nutzer*innen haben dadurch kaum eine Chance zu wissen, wer alles über ihre Daten verfügt. In der Theorie ist das zwar durch das sogenannte Kopplungsverbot untersagt, wenn die Nutzer*innen dem nicht freiwillig zugestimmt haben. Doch die Krux ist die ‚Freiwilligkeit‘: Nutzer*innen haben häufig nur die Wahl zuzustimmen oder die Anwendung gar nicht nutzen zu können. Eine konsequente Weiterentwicklung des Kopplungsverbots wäre es, den Handel mit beziehungsweise Austausch von persönlichen Nutzerdaten zwischen privaten Unternehmen bzw. zwischen Daten-sammelnden Plattformanbietern und Suchmaschinen-Betreibern einerseits und den „Datenkraken“ der Werbeindustrie andererseits grundsätzlich zu untersagen.

Re-Regionalisierung und Prosuming fördern
Regionale Wirtschaftsstrukturen sind oftmals ökologisch nachhaltiger als ein kontinentaler oder globaler Markt. Außerdem erleichtern sie Konsument*innen Einblicke in Herstellungsbedingungen und erlauben so eine demokratischere Steuerung der Wirtschaft nach den sozialen und ökologischen Präferenzen der Konsument*innen. Dagegen wird allerdings oft angeführt, dass eine Produktion auf regionaler Ebene zu ineffizient und damit zu teuer sei. Die Digitalisierung bietet neue Möglichkeiten, wirtschaftliche Aktivitäten auf regionaler Ebene zu organisieren und das Problem der geringeren ökonomischen Effizienz – wo es denn tatsächlich existiert – zu lösen. Die Voraussetzung dafür: Die steigende Arbeitsproduktivität, Ressourcen- und Energieeffizienz, die die Digitalisierung ermöglicht, wird nicht in ökologisch problematisches Wirtschaftswachstum umgesetzt, sondern für eine Stärkung der regionalen und lokalen Produktion genutzt. Beispielsweise können die digitalen Möglichkeiten in der Landwirtschaft statt für eine noch größer skalierte Massenproduktion durch globale Agrarkonzerne für eine lokale, agrarökologische Produktion oder für Urbane Subsistenz (bsp. Gemeinschaftsgärten) genutzt werden – etwa durch Open Source-Landwirtschaftsgeräte, Open Source-Saatgut oder digital unterstützte regionale Märkte. Alle Maßnahmen der Re-Regionalisierung der Ökonomie dürften die Chancen auf eine Ausweitung von Prosuming, Sharing und Do-it-Yourself-Versorgung (Subsistenz) erhöhen und daher einen wichtigen Beitrag für nachhaltige Formen des Konsums leisten.
Letztlich braucht es neben diesen und weiteren Vorschlägen für eine transformative Digitalpolitik jedoch auch die Bereitschaft und die Forderungen der Konsument*innen an die Politik, aktiv zu werden. Die im Vorangegangenen vorgeschlagenen politischen Maßnahmen dürften nur dann eine Chance auf Umsetzung haben, wenn informierte und souveräne Konsument*innen sie einfordern. Bislang wurden die Widersprüche der Digitalisierung für den nachhaltigen Konsum weder in der wissenschaftlichen Forschung noch in der Zivilgesellschaft oder gar Öffentlichkeit ausreichend diskutiert und mit konkreten Forderungen verknüpft. Es Bedarf einer Politisierung des digitalen Konsums sowie einer kritischen Bildung darüber, wie digitale Tools und Anwendungen gestaltet und reguliert werden müssten, um einen eindeutig positiven Beitrag zur Transformation in Richtung Nachhaltigkeit zu leisten.