Vernetzte Nachhaltigkeit oder nicht-nachhaltige Vernetzung? Ökologische Chancen und Risiken des Internet der Dinge

Veröffentlicht als: Pohl, Johanna/ Santarius, Tilman (2020): Vernetzte Nachhaltigkeit oder nicht-nachhaltige Vernetzung? Ökologische Chancen und Risiken des Internet der Dinge. In: Die Ökologie der digitalen Gesellschaft. Jahrbuch Ökologie 2019/2020, S 27-37.

1) Einführung

Öffentliche wie auch wissenschaftliche Diskurse werden häufig von wechselnden Trends und Themen dominiert, die für eine bestimmte Dauer als besonders relevant betrachtet und mit hoher Aufmerksamkeit behandelt werden. Derzeit ist ein solch diskursprägendes Thema die ‚Digitalisierung‘, welche mithin auch als gesellschaftlicher ‚Megatrend‘ bezeichnet wird, tatsächlich allerdings eine Vielzahl heterogener Technologien umfasst. Unter Digitalisierung als gesellschaftlicher Entwicklung kann allgemein der Einzug unzähliger Geräte und Anwendungen der Informations- und Kommunikationstechnologien (Hard- und Software) in unterschiedliche Lebens- und Wirtschaftsbereiche verstanden werden, in Folge dessen zunehmend soziale Praktiken, Institutionen und Strukturen durch Algorithmen und automatische Entscheidungssysteme gesteuert oder mindestens beeinflusst werden (Lange & Santarius, 2018). Besonderes Einflusspotential wird dabei u.a. der Automatisierung von Kommunikations- und Handlungsabläufen im so genannten Internet der Dinge zugesprochen. Digitalisierung führt letztlich zur Herausbildung von ‚cyber-physisch-sozialen Systemen‘, da zunehmend (digitale) Technologien mit materiellen Dingen, Menschen, sozialen Institutionen und der (ökologischen) Umwelt vernetzt werden (aufbauend auf Sadiku, Wang, Cui, & Musa, 2017). Internet of Things, Connected Everything, Connected Living, Industrie 4.0, Industrial Internet of Things – die Begriffe sind dabei vielfältig und zielen doch auf eine ähnliche Eigenschaft ab: die Vernetzung von Produkten und Geräten untereinander sowie mit der sie umgebenden Umwelt mit dem Ziel, Systeminformationen zu sammeln, die dann verarbeitet und zur Verbesserung und Anpassung von Prozessen und Produkten verwendet werden können. Beispiele für das Internet der Dinge (im Folgenden: IoT) reichen von der Haushaltsebene (z.B. automatisierte Heizungssteuerung) über selbstfahrende Autos oder smarte Fabriken (Industrie 4.0) bis zur Smart City.

Die Entwicklung der Digitalisierung vollzieht sich zwar bereits seit Jahrzehnten, doch ein zentrales Argument in der gegenwärtigen Debatte ist, dass sie sich in den nächsten Jahren allen Anzeichen nach noch bedeutend stärker als bisher entfalten wird, mit entsprechend wachsendem Einfluss auf die Gesellschaft. In vorangegangenen Debatten über digitale Technologien wurde noch von einer begrenzten Tragweite der Implikationen ausgegangen. Beispielsweise fokussierte die ‚Dotcom-Debatte‘ Ende der 1990er Jahre auf die Chancen digitaler Technologien für innovative Geschäfts- und Anwendungsfelder in einzelnen wirtschaftlichen Sektoren; Mitte der 2000er Jahre wurden die Auswirkungen sozialer Medien (Web 2.0) auf das zwischenmenschliche Kommunikationsverhalten sowie die Chancen für eine Demokratisierung von Medien und Politik diskutiert; seit einigen Jahren wird über die Potentiale der Digitalisierung für die industrielle Fertigung (Industrie 4.0) gesprochen, inzwischen mit Blick auf eine Steigerung des gesamtwirtschaftlichen Wachstums und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit; und im Gefolge dessen werden seit einigen Jahren zunehmend auch soziale Implikationen der Digitalisierung diskutiert, vor allem die Chancen und Risiken von Robotisierung, Automatisierung und digitaler Flexibilisierung für die Arbeitswelt und die Einkommensverteilung (siehe z.B. Bonin, Gregory, & Zierahn, 2015; Frey & Osborne, 2013).

In der derzeitigen Debatte weitet sich der Fokus noch einmal deutlich, und Digitalisierung wird als Einflussfaktor für nahezu alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche betrachtet. Ein entsprechend häufig verwendeter Satz lautet daher: ‚Die Digitalisierung verändert alles‘. Natürlich wirft ein solch trivialer und technikdeterministischer Satz sogleich die Frage nach der Gestaltung von Technik auf: Wer sind die zahlreichen Akteure, und mit welchen Zielen gestalten sie welche konkreten Technologien? Was davon wird die Gesellschaft in eine positive Richtung, was eher in eine negative Richtung verändern – und wer trifft diese Bewertung anhand welcher normativer Maßstäbe? Vor dem Hintergrund dieser grundlegenden Fragen erscheint es folgerichtig, nun die beiden Großthemen der Digitalisierung einerseits und der nachhaltigen Entwicklung andererseits zusammen zu bringen: Inwiefern können digitale Technologien einen Beitrag zur Erreichung der Ziele für eine global nachhaltige Entwicklung leisten? Wo liegen Chancen, wo liegen Risiken der zunehmenden Digitalisierung vieler Produktions- und Konsumprozesse für eine Senkung der Energie- Ressourcenverbräuche und schädlicher Emissionen?

Dieser Beitrag stellt zunächst ein Analyseraster vor, mit dem allgemein die Implikationen der Digitalisierung für Aspekte der ökologischen Nachhaltigkeit systematisch untersucht werden können (Abschnitt 2) und wendet dieses Raster dann an, um die konkreten Chancen und Risiken digitaler Technologien im Internet der Dinge zu diskutieren (Abschnitt 3). Abschließend wird gefragt, welche Perspektiven und Politiken die Entwicklung des Internet der Dinge so steuern können, dass IoT-Anwendungen einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten können (Abschnitt 4).

2) Multidimensionale Umwelteffekte der Digitalisierung

Als eine der ersten Wissenschaftler beschäftigten sich Daniel Sui und David Rejeski Anfang der 2000er-Jahre mit der ökologischen Implikationen digitaler Anwendungen und beschrieben die positiven Umwelteffekte als die “drei D’s für die New Economy”: Dematerialisierung, Dekarbonisierung und Demobilisierung (Bonin, Gregory, & Zierahn, 2015; Bonin et al., 2015). Chancen der Digitalisierung sahen die Autoren also zum einen in der steigenden Ressourceneffizienz von Prozessen durch Substitution von materiellen Gütern durch Bits und Bytes sowie durch den insgesamt verbesserten Zugang zu gemeinsam oder second hand genutzten Gütern. Ferner sahen die Autoren durch beispielsweise Videokonferenzen, Telearbeit und Online Shopping das Potential, regelmäßige Verkehrswege (das tägliche Pendeln zur Arbeit, der Weg zum Einkaufen, Dienstreisen) überflüssig zu machen und so ebenfalls Umweltwirkungen zu reduzieren.

In den letzten Jahren haben etliche weitere Studien versucht, die Potentiale digitaler Geräte und Anwendungen für Dematerialisierung und Dekarbonisierung abzuschätzen (siehe z.B. Hilty & Aebischer, 2015). Beispielsweise berechnet eine Studie der Global e-Sustainability Initiative,  einem weltweiten Zusammenschluss großer Telekommunikations- und IT-Unternehmen, dass mithilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien bis zum Jahr 2030 rund 20 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen eingespart werden könnten (GeSI & Accenture, 2015). Allerdings wird bei den meisten Potentialabschätzungen digitaler Anwendungen übersehen, dass die Digitalisierung selbst einen enormen Rohstoffbedarf hat und zunächst erst einmal ökologische Probleme generiert. Hinzu kommt, dass die zunehmende Digitalisierung von Prozessen nicht nur Chancen birgt, um Umweltwirkungen zu reduzieren, sondern auch negative sekundäre Effekte hervorrufen kann. Auf diese wollen wir im Folgenden näher eingehen und wenden dazu ein in der „ICT for Sustainability“-Forschung etabliertes Modell der direkten und indirekten Umweltwirkungen an (Horner, Shehabi, & Azevedo, 2016).

Die ‚direkten Effekte‘ der Digitalisierung beschreiben den Ressourcen- und Energiebedarf für die Nutzung der digitalen Anwendungen entlang des gesamten Lebenszyklus der Geräte, also von der Bereitstellung der Rohstoffe über Herstellung, Transport und Nutzung bis hin zu deren Entsorgung. Relevant sind dabei neben Endgeräten wie Smartphones, Tablets, oder Laptops insbesondere Rechenzentren und Netzwerke für die Übertragung, Verarbeitung und Speicherung der Datenströme.

Die Kategorie ‚indirekte Effekte‘ bezieht sich auf die digitalen Anwendungen und den daraus resultierenden Änderungen auf individueller und gesellschaftlicher Ebene. Darunter lassen sich sowohl die intendierten Funktionen und Nutzen als auch die nicht-intendierten Nebenwirkungen der Digitalisierung subsummieren.

Zu den intendierten indirekten Effekten zählen Optimierungs- und Substitutionseffekte, die zu einer Steigerung der Energie- und Ressourceneffizienz von Prozessen oder Produkten führen. Dies kann zum einen durch den Einsatz von Sensoren und anderen Geräten geschehen, die Systeminformationen zur Verbesserung und Anpassung von Prozessen verwenden – eine klassische Beschreibung der Funktion des Internet der Dinge. Zum anderen können Produkte (oder Dienstleistungen) durch ihre jeweiligen digitalen Äquivalente ersetzt und so ebenso Ressourcen reduziert. Beide Effekte können aber auch zum Gegenteil führen – beispielsweise wenn die direkten materiellen Effekte der zusätzlichen Sensoren und Datenverarbeitung die Einspareffekte der Optimierung übersteigen, oder wenn das digitale Äquivalent nicht wirklich ressourcenleichter ist.

Daneben gibt es zwei Typen von nicht-intendierten indirekten Effekten, die eine entscheidende Rolle bei der Bewertung des ökologischen Potentials der Digitalisierung spielen. Durch sie können digitale Effizienzsteigerungen aufgrund von veränderten Nutzungsmustern teilweise kompensiert oder sogar überkompensiert werden. In der Literatur werden diese Effekte als Rebound-Effekte und Induktionseffekte bezeichnet (Hilty, 2012; Santarius, 2015). Während Mehrkonsum aufgrund von Einsparungen von Zeit, Geld oder Raum als Rebound-Effekt bezeichnet wird, bezeichnet der Begriff Induktionseffekt Mehrkonsum aufgrund gesteigerter Optionen. Beide Effekte sind als solches seit langer Zeit Gegenstand der Forschung. Es fehlt allerdings an empirischer Forschung zum Zusammenhang von Digitalisierungsgrad und der Höhe von Rebound- und Induktionseffekten.

Auch wäre eine Bilanzierung aller etwaigen Chancen und Risiken der Digitalisierung äußert wünschenswert, steht aber bislang noch aus. Die Gründe sind vielfältig – es fehlt nicht zuletzt an einer geeigneten Methode (Bieser & Hilty, 2018).

3) Das Internet der Dinge: Umweltschutz jenseits des Hype?

Unter dem Begriff Internet der Dinge also eine Vielzahl an vernetzten Anwendungen subsummiert werden, die viele Bereiche der Gesellschaft umfasst – vom vernetzten Zuhause, über die vernetzte Mobilität und die vernetzte Produktion bis hin zu vernetzten Städten. Welche umweltpolitischen Konsequenzen ergeben sich aber aus dieser Vernetzung der (Um)Welt?

Aus ökologischer Perspektive müssen zunächst die oben genannten ‚direkten Effekte‘ berücksichtigt werden. Erstens umfasst dies die materiellen Aufwände für die Produktion und Entsorgung der zusätzlichen Geräte (u.a. Sensoren, Aktoren, Prozessoren, Sender, Empfänger). Für das IoT wird eine rasant steigende Anzahl vernetzter Geräte prognostiziert. Ging man noch im Jahr 2015 von weltweit 15 Milliarden digitaler Geräte aus (darunter ca. 1/3 IoT-Geräte), so wird für das Jahr 2022 bereits ein Anstieg auf über 27 Milliarden digitaler Geräte erwartet, wovon mehr als die Hälfte der Geräte dem IoT zugeordnet werden. Smart Home-Geräte stellen dabei mit anteilig annähernd 50% aller IoT-Systeme die dominante Anwendung dar (Cisco, 2018).

Zweitens umfassen die ‚direkten Effekte‘ den Energiebedarf für die Übertragung und Verarbeitung von Datenströmen in der Nutzungsphase. Bereits heute können 10% des globalen Stromverbrauchs der Digitalisierung angerechnet werden; im hoch industrialisierten Deutschland liegt der Anteil bei ca. 8% des nationalen Stromverbrauchs (Andrae & Edler, 2015; Stobbe et al., 2015). Ungefähr die Hälfte des Stroms wird für die Speicherung und den Transfer von Daten aufgewendet. Bei der Datenübertragung von vernetzten Geräten geht es zwar meist nur um geringe Datenmengen. Da jedoch die Anzahl der Geräte rasant steigt und vermehrt Sprach- und Videoanwendungen eingesetzt werden, gehen Prognosen davon aus, dass die Kommunikation zwischen Geräten („machine2machine“) im Jahr 2022 bereits sechs Prozent des weltweiten Datenverkehrs ausmachen wird (Cisco, 2018). Hinzu könnten künftig einige extrem datenintensive Anwendungen des IoT kommen, wie beispielsweise selbstfahrende Autos: Für das unentwegte Scannen ihrer Umgebung sowie weitere Datenflüsse für das GPS, das Radar und die Sensoren zur lasergestützten Abstands- und Geschwindigkeitsmessung kann ein selbstfahrende Auto im 24-Stunden Betrieb geschätzt 4.000 Gigabyte Daten generieren (Bubeck, 2016; Vieweg, 2015); demnach würden nur zwei Millionen selbstfahrender Autos die gleiche Datenmenge erzeugen, wie heute etwa die Hälfte der Weltbevölkerung (Lange & Santarius, 2018). Insgesamt gilt das IoT daher als einer der Haupttreiber des global steigenden Datenverkehrs und des Ausbaus an Rechenzentren (Cisco, 2018).

Aus umweltpolitischer Sicht sind jene Ressourcen, die für die Produktion und den Betrieb des IoT anfallen, zunächst Mehraufwände, die sich ökologisch amortisieren müssen, bevor tatsächlich durch Optimierung von Prozessen netto Ressourcen eingespart werden können. Dass dies mitunter nicht trivial ist, zeigt etwa eine Studie zum Energiesparpotential von automatisierten Heizungs- und Energiemanagementsystemen im Haushalt: Es kann bis zu 18 Monaten dauern, bis sich die Produktionsenergie der digitalen Geräte durch die Energieeinsparungen aufgrund von Effizienzgewinnen beim Betrieb amortisiert (van Dam, Bakker, & Buiter, 2013). Neben der Herstellung der Geräte an sich ist auch ihre (verkürzte) Nutzungsdauer umweltrelevant. Die Vernetzungsfähigkeit von Produkten und Anlagen birgt das Risiko, dass eigentlich noch funktionierende Komponenten vorzeitig ausgetauscht werden müssen, z.B. wenn für eine Software kein Update mehr verfügbar ist. Auch der Standby-Stromverbrauch, der sich aus dem 24h-Bereitschafts-Betrieb der vernetzten Geräte ergibt, muss berücksichtigt werden (Hintemann & Hinterholzer, 2018).

Das ökologische Nachhaltigkeitspotential des IoT speist sich aus den  potentiellen Effizienz- und Substitutionseffekten von IoT-Anwendungen, durch die nachhaltige Lebensstile, Produktionsbedingungen und Konsummuster unterstützt werden. Als Beispiel für mögliche Effizienzgewinne kann neben der automatisierten Heizungssteuerung (siehe oben) auch das vernetzte Fahren genannt werden. Die Vernetzung von Verkehrsträgern (Telematik), ein intelligentes Verkehrsmanagement und Stauvermeidung sowie das digitale Flottenmanagement und Routenoptimierung in der Logistik können die Effizienz im Straßenverkehr so steigern, dass sich bis zum Jahr 2030 potentiell knapp 1 Gt Kohlendioxidemissionen einsparen lassen (GeSI & Accenture, 2015). Als Beispiele für positive Substitutionseffekte des IoT wiederum können free-floating Carsharing- oder Bikesharing-Systeme genannt werden.

Allerdings stehen diesen intendierten Effekten wiederum nicht-intendierten Effekte entgegen, die einen Teil der Einsparungen konterkarieren können. Während Bikesharing-System unabhängig von der Art der Substitution – Substitution von Autofahrten oder ÖPNV – positive ökologische Auswirkungen haben, fallen diese bei Substitutionseffekten durch Carsharing ambivalent aus. Befragungen zeigen, dass Nutzer*innen von stationsbasierten Carsharing-Systeme eine höhere Neigung aufweisen, ihren privaten Pkw abzuschaffen als Nutzer*innen der IoT-basierten free-floating Carsharing-Systeme; letztere führen daher auch zu einer Substitution von öffentlichen Massenverkehrsmitteln durch vermehrte individuelle Autofahrten (Firnkorn & Müller, 2015; Dienel, 2017).

Zudem können Rebound-Effekte entstehen, weil eine Optimierung oder Effizienzsteigerung grundsätzlich Ressourcen (Geld, Zeit, Aufwand usw.) freisetzt, die dann für verstärkten Konsum genutzt werden kann. Beispielsweise können free-floating Carsharing-Systeme besonders zeiteffizient und kosteneffizent genutzt werden, sich aber genau deshalb in vermehrten ‚Gelegenheitsfahrten‘ niederschlagen, wie vergleichende Untersuchungen von stationsbasiertem und free-floating Car-Sharing zeigen (siehe z.B. Hülsmann et al., 2018).

Ferner können Induktionseffekte entstehen, wenn digitale Geräte in spezifischen Situationen die Konsum-Optionen erhöhen. Beispielsweise bieten Smarthome-Systeme oft nicht nur eine automatisierte Heizungssteuerung an, mit der sich Energie einsparen lässt, sondern mannigfaltige weitere Optionen zur Vernetzung von Dingen und Haushaltsgeräten – von WLAN-fähigen Lampen über Smart-TVs bis zur vernetzten Alarmanlage – was neue Konsumbedürfnisse induzieren kann (Wilson, Hargreaves, & Hauxwell-Baldwin, 2015). Je nach Ausmaß des induzierten Mehrkonsums können die zusätzlichen Material- und Energieaufwendungen für die Produktion der zusätzlichen Smarthome-Geräte wie auch die Stromverbräuche in ihrer Nutzungsphase die Einsparungen durch Effizienzgewinne zunichtemachen oder gar übertreffen.

Das Versprechen, via Vernetzung und Optimierung von Prozessen den Ressourcen- und Stromverbrauch zu verringern, kann nicht zuletzt durch konkurrierende Nutzungsmotivationen konterkariert werden. So zeigt eine Studie, dass Klima- und Umweltschutz selten im Vordergrund stehen, wenn es um Gründe für die Anschaffung vernetzter Haushaltsgeräte geht (vgl. Wolf, 2016). Vielmehr sind Erhöhung des Komforts oder der Sicherheit ausschlaggebend. Ähnlich sieht es bezüglich IoT-Anwendungen im Bereich der Industrie aus. Zwar wird häufig genannt, dass die Energieeffizienzpotenziale des Industrial IoT (Industrie 4.0) zum Klimaschutz und zu einer nachhaltigeren Energienutzung im Industriesektor beitragen könnten (Forschungsunion Wirtschaft – Wissenschaft, 2013; Hermann, Schmidt, Kurle, Blume, & Thiede, 2014; Plattform Industrie 4.0, n.d.). Konkrete (Fall-)Studien, die die Effizienzgewinne der vernetzten Produktion tatsächlich beziffern, liegen bislang jedoch gar nicht vor (Fritzsche, Niehoff, & Beier, 2018). Zugleich ist die Gefahr, dass Effizienzsteigerungen im Industriesektor zu hohen Rebound-Effekten führen, besonders hoch (Santarius, 2016). Auch in der vernetzten Produktion stehen weniger Klima- und Ressourcenschutz im Vordergrund, als Wachstumssteigerung und Wettbewerbsfähigkeit (Lange & Santarius, 2018; Pfeiffer, 2017). 4) Maßnahmen zur nachhaltigen Gestaltung des Internet der Dinge

4) Maßnahmen zur nachhaltigen Gestaltung des Internet der Dinge

Verschiedene politische Maßnahmen bieten sich an, um die Einsparpotentiale positiver Substitutions- und Effizienzeffekte voll zum Tragen zu bringen, die materiellen und energetischen Verbräuche bei Herstellung und Nutzung möglichst gering zu halten und schließlich die unerwünschten Nebeneffekte – Rebound- und Induktionseffekte – möglichst zu unterbinden.

Um die ‚direkten Effekte‘ des IoT zu minimieren, bietet sich die Entwicklung einer Designrichtlinie für IT-Geräte an (siehe Santarius, 2018). Darin könnten Energiestandards für Rechenzentren und Endgeräte festgeschrieben werden, die im Zeitverlauf dynamisch verschärft werden – ähnlich wie dies bei Glühbirnen erfolgreich geregelt wurde. Des Weiteren sollten Standards gesetzt werden, dass Geräte grundsätzlich modular aufgebaut und reparierbar sind; damit digitale Geräte nicht weggeworfen werden, nur weil beispielsweise das Display gebrochen ist oder der Akku schwächelt. Ferner können eine Ausdehnung der Herstellergarantien wie auch Vorschriften, dass die Hersteller grundsätzlich bis zum Ende der Lebensdauer von Geräten Softwareupdates bereitstellen müssen, den ungeheuerlichen Berg von weltweit knapp 50 Millionen Tonnen Elektroschrott pro Jahr hoffentlich langsamer wachsen lassen.

Zur Einhegung insbesondere von Rebound-Effekten bietet sich eine Weiterentwicklung des bekannten Konzepts der ökologischen Steuerreform zu einer digital-ökologische Steuerreform an (siehe Lange & Santarius, 2018). Dabei würde zum einen Strom moderat steigend besteuert werden, um Anreize für den Ausbau energieintensiver IoT-Geräte und Anwendungen zu verringern. Zum anderen würde die Weiterentwicklung des Konzepts der ökologischen Steuerreform darin bestehen, die Steuerbasis nicht nur auf Energie zu beschränken, sondern auch Datenströme und/oder die Gewinne aus der digitalen Automatisierung miteinzubeziehen. Einige Vertreter*innen der IT-Branche, beispielsweise Bill Gates, haben bereits eine ‚Robotersteuer‘ vorgeschlagen (Hagelüken, 2017); andere empfehlen eher die Eigentümer*innen der Maschinen oder die mithilfe von Robotern erzielten Unternehmensgewinne zu versteuern (Straubhaar, 2016); zudem können auch Markengewinne besteuert werden, wie am Beispiel der enorm hohen Gewinne von Apple diskutiert wird. Zur Eindämmung datenintensiver Anwendungen des IoT könnte insbesondere eine Besteuerung von Datenströmen interessant sein. Über die Besteuerung von Strom hinaus würde dies dem Ziel Vorschub leisten, den Ausbau der Infrastruktur für Kabel und Funknetze aber auch für Daten- und Rechenzentren so moderat wie möglich zu halten. Ferner würde es den Aufbau eines IoT mit Milliarden untereinander kommunizierenden Gegenständen und Geräten mindestens verlangsamen und ökologisch fragwürdigen Spielereien wie beispielsweise RFID-Chips in Socken oder T-Shirts sowie selbstständig kommunizierenden Toastern oder Kühlschränken vorbeugen. Dabei wäre es allerdings eine gesetzgeberische Herausforderung bei einer Besteuerung von Datenströmen, das wichtige Gebot der Netzneutralität nicht zu untergraben.

Zur Einhegung von Induktionseffekten schließlich bietet sich das Leitprinzip der digitalen Suffizienz an (siehe Lange & Santarius, 2018). Das Prinzip, welches Nutzer*innen, aber auch öffentliche und privatwirtschaftliche Akteure zu einer möglichst moderaten Digitalisierung anhalten soll, wird von dem Motto geleitet: ‚So viel Digitalisierung wie nötig, so wenig wie möglich‘. Insofern geht es – wie beim suffizienten Konsum im Allgemeinen (siehe z.B. Linz et al., 2002) – nicht um einen aufopfernden ‚Verzicht‘ oder eine Einschränkung um jeden Preis, sondern um das rechte Maß, zum Beispiel um die sinnvolle Anzahl vernetzter digitaler Geräte pro Person, Haushalt oder Einrichtung. Denn wenn die planetaren Grenzen gewahrt werden sollen, dürfen die Verlockungen des IoT nicht dazu führen, dass auch noch die letzten analogen Anwendungen durch smarte Geräte ersetzt werden. Vielmehr sollten IoT-Anwendungen ausschließlich dort eingesetzt werden, wo sie tatsächlich zu einer absoluten Reduktion der Energie- und Ressourcenverbräuche beitragen so und nachhaltige Lebens-s und Produktionsweisen unterstützen.

Literatur

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