Regeln ändern. Fairness im Welthandel.

Von Tilman Santarius

Erschienen als: Regeln Ändern: Fairness im Welthandel. Kapitel 18, in: BUND/Brot für die Welt/Evangelischer Entwicklungsdienst (Hrsg.): Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt. Ein Anstoß zur gesellschaftlichen Debatte. Eine Studie des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Frankfurt, 2008, S. 508-534.

Ein sozialer Ausgleich in der Weltgesellschaft wird hauptsächlich über die Handels- und Außenwirtschaftspolitik ins Werk zu setzen sein. Europa hat damit Erfahrung, es ist selbst ein internationaler Wirtschaftsraum wie auch ein Raum des sozialen Ausgleichs. Doch in der Handelspolitik mit Dritten bleibt Europa hinter seiner sozialen und menschenrechtlichen Tradition zurück. In auffälligem Kontrast zur Umweltpolitik kann es auf diesem Feld keine Pionierrolle beanspruchen. Doch eine Politik, die auf eine Globalisierung der öko-sozialen Marktwirtschaft zielt, wird die Handelspolitik nicht länger isolieren. Ganz im Gegenteil, sie wird die Handelspolitik zur Triebkraft für mehr Ökologie und Fairness in der Weltwirtschaft machen.

18.1 Die Welthandelsorganisation neu erfinden

Seit Ende der 1990er Jahre konzentriert sich die Debatte über die Zukunft der Globalisierung vor allem auf die Welthandelsorganisation (World Trade Organization; WTO). Als Nachfolgerin des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT), das seit dem Zweiten Weltkrieg durch wechselseitig abgestimmte Zollsenkungen dem internationalen Handel beträchtlichen Auftrieb gegeben hatte, hat die WTO sich als jene Organisation etabliert, welche weitgehend den Ordnungsrahmen für die transnationale Ökonomie festlegt. Die WTO ist als einzige internationale Institution mit einem Schiedsgericht und mit Sanktionsmacht ausgestattet, während es nicht annähernd vergleichbar starke internationale Institutionen gibt, die für Menschenrechte, Gemeinwohl oder Umweltschutz eintreten. So kommt es, dass die Regeln der WTO auch wirtschaftsferne Politikbereiche durchdringen, und dass auf globaler Ebene letztlich die Wirtschaftsregeln die Gesellschaftsregeln dominieren.

Doch seit einigen Jahren steckt die WTO in der seit Jahrzehnten wohl tiefsten Krise des Handelssystems. Zwar treten nach wie vor Länder der WTO bei, und ihre Streitschlichtungsinstanz trägt laufend Handelskonflikte zwischen Mitgliedsländern aus. Doch die Verhandlungen über eine Weiterentwicklung der Handelsregeln sind durch einen grundlegenden Reformstau gekennzeichnet, der sich im Spiel einer Vielzahl widerstreitender Interessen immer wieder in Stillstand oder gar einem Scheitern der Verhandlungen niedergeschlagen hat.

Die Krise der WTO entsteht aus einer doppelten Ursache: einem Mangel an Vertrauen, und einer ideologischen Voreingenommenheit. Ein Mangel an Vertrauen deshalb, weil die Länder des Nordens, namentlich die Triade USA, EU, Japan, seit zu vielen Jahren den Handel mit zweierlei Maß messen: Sie fordern Freihandel mit den Ländern des Süden, und sie beharren auf Protektionismus und im Agrarbereich auf Subventionen für ihre eigene Wirtschaft. Dabei führen sie die Verhandlungen nicht ohne Heuchelei, da sie stets Armutsreduktion, Entwicklungschancen und Wohlstand für alle versprechen. Und einer ideologischen Voreingenommenheit deswegen, weil das übergeordnete Ziel der Handelsverhandlungen immer noch Freihandel und schieres  Wirtschaftswachstum heißt. Dabei wird immer deutlicher erkennbar, wie Strategien eines unreflektierten Wirtschaftswachstums immense soziale und ökologische Probleme mit sich bringen, weil sie die Ausbeutung der natürlichen Umwelt und ebenso von lokalen Gemeinschaften in Kauf nehmen. Erst wenn die WTO aufhört, einer starren Freihandels-Ideologie zu folgen, und sich stattdessen den gegenwärtigen Problemen stellt, wird sie ihre Krise überwinden; erst wenn sie auf multilateraler Ebene Probleme löst, die dem Gemeinwohl dienen und nicht von Staaten im Alleingang angegangen werden können, wird sie wieder einen Konsens der Staatengemeinschaft über ihren Nutzen erreichen.

Menschenrechte und Entwicklungsrechte schützen

Bisher haben die WTO, und vor ihr das GATT, aber auch bilaterale und regionale Freihandelsabkommen sowie die internationalen Finanzinstitutionen IWF und Weltbank mit ihren Strukturanpassungsprogrammen allein darauf abgezielt, Handelsbarrieren abzubauen und Märkte zu öffnen. Sie stützen sich dabei auf die ökonomische Theorie, der zufolge Zölle, Quoten und sonstige Marktzugangsbarrieren die Preise auf dem eigenen Markt hochhalten und damit auch ineffiziente Produzenten schützen. Die Liberalisierung des Handels dagegen soll helfen, dass sich auf allen Märkten stets die kostengünstigsten Anbieter durchsetzen können. Diese Freihandelsstrategie übersieht, dass jenseits aller ausgeschöpften Effizienzpotentiale ein ‚Verdrängungshandel’[i] einsetzen kann, der den davon betroffenen Menschen ihre Produktions-, wenn nicht gar Lebensgrundlage entzieht. Am deutlichsten wird dies beim Handel mit Agrarprodukten. In zahlreichen Ländern des Südens haben Billigimporte von Lebensmitteln die inländische Produktion aus Ackerbau und Viehwirtschaft vom Markt gedrängt und bäuerliche Betriebe in den Ruin getrieben. Indonesien beispielsweise hatte vor rund einem Jahrzehnt noch ein gut funktionierendes Agrarwesen, das weitgehend die Selbstversorgung des Landes garantierte. Durch eine Handelsliberalisierung, die dem Land im Zuge der asiatischen Finanzkrise aufgenötigt wurde, stieg die Gesamteinfuhr von Lebensmitteln stark an, bei Sojabohnen sogar um 50Prozent. Allein im Bereich der Sojaproduktion haben zwei Millionen Menschen den Sojaanbau aufgeben müssen[ii].  

Es erscheint als selbstverständlich, dass eine dem Gemeinwohl verpflichtete Welthandelsorganisation die Menschenrechte schützt und die Armut bekämpft. Tatsächlich erkennt die WTO noch nicht einmal auf dem Papier den Menschenrechtskanon der Vereinten Nationen an, geschweige denn, dass sie sich ihrer aktiven Umsetzung verpflichtet. Allerdings braucht es für den Schutz der Menschen- und Entwicklungsrechte keiner starken Regulierung auf der internationalen Ebene. Vielmehr müssen Regierungen wieder größeren Handlungsspielraum vis-a-vis den bestehenden internationalen Handelsregeln zurückerlangen, so dass sie Zuströme an Produkten, aber auch an Dienstleistungen und Direktinvestitionen kontrollieren können, wenn Existenzrechte und Entwicklungspotential auf dem Spiel stehen[iii]. Deshalb muss den Ländern wieder mehr Flexibilität in der Anwendung von Zöllen, Quoten sowie preis- und mengenbasierten Schutzmechanismen eingeräumt werden. In der rasanten Globalisierung von heute ist die Importsteuerung für Länder wichtiger als die Exportförderung, wobei  zu überwachen ist, dass Importe nicht ungerechtfertigt diskriminiert werden.

Wettbewerb nur zwischen ökologisch und sozial nachhaltigen Produkten zulassen

Gegenwärtig werden Handelsströme nur nach ihrem monetären Wert, nicht aber nach ihrer ökologischen und sozialen Qualität bewertet; denn in der ökonomischen Theorie gilt, dass die Qualität eines Produkts oder einer Dienstleistung einzig durch den Preis abgebildet wird. Deswegen gilt in der WTO die Regel der so genannten ,like products’: Gleichartige Produkte dürfen nicht aufgrund eines unterschiedlichen Produktionsverfahrens diskriminiert werden. Zwei T-Shirts beispielsweise dürfen nicht mit unterschiedlichen Zollsätzen oder Importquoten belegt werden, auch wenn eines von ihnen mit Kinderarbeit hergestellt worden ist oder aus einer Baumwolle, deren industrieller Anbau unter hohem Pestizideinsatz Feldarbeiter und Umwelt vergiftet hat. So lange das gilt, besteht der Anreiz für Unternehmen, ihre Herstellung in Länder zu verlagern, wo Löhne, Ressourcenpreise, Umwelt-, Gesundheits- und Sozialstandards am niedrigsten sind (®Kapitel 9).

Doch schon die gegenwärtige Praxis der WTO kennt Ausnahmen von der ,like product’-Regel: Diamanten aus Regionen mit Bürgerkriegen dürfen ebenso wenig gehandelt werden wie Kühlschränke mit die Ozonschicht zerstörendem FCKW. Was heute Ausnahme ist, muss zur Regel werden. In der Tat wird der Handel erst dann zum Motor für Ökologie und Gerechtigkeit, wenn eine Differenzierung der Produkte nach ihren Produktionsmethoden vorgenommen wird. Textilien aus Swetshops, in denen die Rechte von Frauen verletzt werden, Fleisch aus Tierzuchtfabriken, die Wachstumshormone einsetzen oder Strom aus fossil betriebenen Kraftwerken, die die Atmosphäre aufheizen – so lange der Handel mit solchen Waren und Dienstleistungen nicht gänzlich unterbunden werden kann, muss er finanziell belastet und dafür der Handel mit sozial und ökologisch nachhaltigen Gütern begünstigt werden. Es muss Ländern gestattet sein, den Zugang zu ihren Märkten an Qualitätskriterien zu knüpfen. Ein solches System des „Qualifizierten Marktzugangs“[iv] wird ökologisch und sozial nachhaltig erzeugte Importe aktiv gegenüber konventioneller Ware begünstigen, wenn im eigenen Land die gleichen Standards gelten. Dann kann etwa ein Land, das den nachhaltigen Landbau fördert, den Import von Lebensmitteln aus agro-industrieller Erzeugung mit hohen Zöllen belegen; oder sparsame Autos günstiger importieren lassen. Der Zugang zu fremden Märkten muss als ein Privileg verstanden werden, das Exporteure erst durch die Einhaltung hoher Sozial- und Umweltstandards erringen. Doch sollte Unternehmen aus Entwicklungsländern in einer Übergangsphase geholfen werden, diese Standards zu erfüllen.

Einen Ausgleich der Handelsbilanzen befördern

Während im Jahr 2005 50 Länder, angeführt von Deutschland, China, Russland und Saudi Arabien, teils enorme Handelsbilanz-Überschüsse erwirtschaftet haben (®Kapitel 5), wiesen 114 Länder Handelsbilanz-Defizite aus, die in den USA, Großbritannien, Spanien und der Türkei am stärksten ausfielen. Defizite wie Überschüsse sind strukturell zwar nicht zu vermeiden, und sie können sich durch frei flottierende Wechselkurse über die Jahre auch wieder ausgleichen. Geschieht das nicht, muss der Ausgleich durch entsprechende Maßnahmen angestrebt werden. Länder, die stets mehr exportieren als importieren, erwirtschaften Überschüsse an ausländischen Devisen, während Länder, die stets mehr importieren als exportieren, leicht in einen Devisenmangel geraten. Wenn dann nicht anderweitig Kapital ins Land fließt, etwa über Investitionen oder Geldanleihen, können diese Länder zu Schuldnerstaaten werden. Vor allem ärmere Länder haben mit chronisch negativen Handelsbilanzen zu kämpfen; einige von ihnen können nicht einmal ausreichend Devisen für lebenswichtige Importgüter wie Medikamente oder Nahrungsmittel aufbringen. Zudem haben die Finanzkrisen in Mexiko 1994, in mehreren Ländern Asiens 1997/1998, in Argentinien nach 1999 und viele weitere größere und kleinere Finanzkrisen, bei denen ganze Länder ihren wirtschaftlichen Bankrott erklären mussten, vorgeführt, welche verheerenden Folgen ein Handelssystem zeitigen kann, dass keinen Ausgleich der Bilanzen anstrebt.

Schon John Maynard Keynes, der in den 1940er Jahren die Verhandlungen zur Gründung der Bretton Woods Institutionen leitete, hatte einen Mechanismus vorgeschlagen, bei dem eine international unabhängige Verrechnungsstelle, die International Clearing Union (ICU), einen Handelsbilanzausgleich zwischen den Nationen erwirken sollte[v]. Die ICU sollte eine neue Währung einführen, den Bancor, in der alle Im- und Exporte am Weltmarkt zu bezahlen wären. Jedem Land stünde beim Umtausch der eigenen Währung in den Bancor ein gewisser Überziehungskredit zu; wird dieser jedoch überschritten, würde die ICU einen Strafzins für das Land verhängen. Auch Ländern mit Zahlungsbilanzüberschüssen, wie etwa Deutschland, könnte ein Strafzins auferlegt werden, damit sie ihre Überschüsse im Zaum halten; oder Überschüsse ab einer bestimmten Höhe könnten konfisziert und der Finanzierung von Aufgaben des internationalen Gemeinwohls zugeführt werden (Programme zur Armutsreduktion, Finanzierung der UN-Institutionen o.a.). Obwohl der Vorschlag Keynes heute wie damals phantastisch anmutet, könnten die wachsenden Bilanzdefizite vieler Länder, nicht zuletzt auch der USA, in nicht allzu weiter Ferne zu einer weltwirtschaftlichen Instabilität führen, die einen Ausgleich der Handelsbilanzen auch im Interesse der mächtigen Staaten und der Exportüberschuss-Länder erscheinen lassen wird.

 Ökonomisch schwachen Staaten Vergünstigungen einräumen

Derzeit gleicht der Weltmarkt einer Fußballliga, in der ein Verein der Kreisliga gegen den vielfachen Pokalsieger FC Bayern München antreten müsste – und das auf einem Feld, bei dem die Hobbyfußballer bergauf gegen die Münchener Profis spielen müssen. Im Welthandel spielen tatsächlich starke und schwache Spieler in der gleichen Liga, und die Regeln begünstigen dazu noch die Starken. Denn die starken Länder haben die Regeln so gestaltet, dass doppelte Standards gelten. Zahlreiche Länder des Südens, von Kenia bis Kamerun, von Indonesien bis Chile, wurden gezwungen, ihre Märkte weit zu öffnen für die Industriegüter des Nordens, während die USA, Japan, die EU und andere Industriestaaten weiterhin hohe Zölle auf Agrargüter erheben und obendrein mit massiven Subventionen die eigene landwirtschaftliche Produktion maximieren. Dieser Protektionismus auf dem Agrarmarkt bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Übermacht auf dem Markt für Industriegüter und Dienstleistungen hat in der Vergangenheit viele Länder des Südens zu Verlierern des Welthandels gemacht[vi]. Eine Studie zur Folgenabschätzung der gegenwärtigen Verhandlungsrunde der WTO in Doha prognostiziert, dass die meisten der am wenigsten entwickelten Länder, insbesondere die Länder Sub-Sahara-Afrikas, mit dem nächsten Liberalisierungsschub im Welthandel erneut zu Verlierern werden, während die größten volkswirtschaftlichen Gewinne von den Industriestaaten und einigen aufstrebenden Schwellenländern eingefahren werden[vii].

Auch Ökonomen, die der Theorie des Freihandels anhängen, vertreten mittlerweile die Ansicht, dass Entwicklungsländer im Wettbewerb mit wirtschaftlich starken Ländern eine hinreichend lange Übergangsphase benötigen, in der sie sowohl ihre Märkte schützen dürfen als auch von den Industrieländern einseitig einen vergünstigten Marktzugang eingeräumt bekommen[viii]. Fairness  ist erst gegeben, wenn die Regeln der WTO – über die richtige Absicht hinaus, ein ebenes Spielfeld mit den mächtigen Ländern zu schaffen – schwache Staaten systematisch begünstigen. Aus der Sonder- und Vorzugsbehandlung müsste ein integrales Strukturmerkmal des Handelsregimes werden[ix]. So können Länder nach verschiedenen Kriterien, wie Ausmaß der Armut, Pro-Kopf Einkommen, Anteil am Welthandel usw., in verschiedene Kategorien eingeteilt werden[x]. Ein Land mit mittlerem Einkommen wie Algerien würde dann eine Sonderbehandlung durch die EU erfahren, während es wiederum Niger gegenüber zur Sonderbehandlung verpflichtet wäre. Eine solche Bestimmung würde nicht nur helfen, die Kluft zwischen Nord und Süd zu überbrücken, sondern auch dazu beitragen, die rasch wachsenden Ungleichheiten zwischen den Entwicklungs- und Schwellenländern auszugleichen[xi].

 Monopol- und Kartellbildung verhindern

Konzentrationsprozesse geschehen auch in nationalen oder lokalen Märkten, wenn die Politik nicht interveniert. Doch je größer der Markt, desto größer wird das Problem. Erst die weltweite Liberalisierung der Finanz- und Gütermärkte seit dem Ende der 1970er Jahren hat einer Konzentration von Unternehmen über Ländergrenzen hinweg Vorschub geleistet, wie sie bis dahin nicht möglich war. Im Ergebnis sind einige hundert transnationale Konzerne entstanden, deren jährlicher Umsatz das Bruttoinlandsprodukt ganzer Länder in den Schatten stellt. Der Weltkonzern Walmart beispielsweise machte im Jahr 2006 308 Milliarden US-Dollar Umsatz, während das Bruttoinlandsprodukt der 42 hoch verschuldeten Entwicklungsländer (HIPC) zusammen nur 262 Milliarden Dollar betrug[xii]. Zum anderen steigt mit der „Zusammenlegung“ von nationalen Märkten zu einem gemeinsamen globalen Markt gleichzeitig die Zahl der kleinen Unternehmen und verwundbaren Produzenten gegenüber den Marktriesen. Der weltgrößte Agrarhandelskonzern, das US-Unternehmen Cargill, muss sich das Handelsgeschäft für Weizen, Mais, Geflügel und vielen anderen Produkten nur mit einer Hand voll Konkurrenten teilen. Also können diese Unternehmen ihre Marktmacht und damit die Abhängigkeit der Millionen Bäuerinnen und Bauern weltweit ausnutzen, um Preise zu manipulieren, Wertschöpfung aus den ländlichen Ökonomien abzuziehen, und Standards zu diktieren, die es insbesondere den kleinen Produzenten unmöglich machen, mitzuhalten[xiii]. Im Bereich der Computerproduktion haben einige wenige transnationale Konzerne, die zusammen nahezu 90Prozent des Herstellungsmarkts für Laptops kontrollieren, regelmäßig nach nur wenigen Jahren ihre Zulieferer gewechselt, um maximale Profitmargen zu erzielen, während die Zulieferer samt ihren Arbeiterinnen und Arbeitern in Malaysia, Indonesien oder Mexiko ohnmächtig und arbeitslos zurückblieben[xiv]. Im Welthandel mangelt es nicht nur an Fairness zwischen den Ländern, sondern mehr noch zwischen den Marktakteuren.

Während die WTO ihre Agenda der Liberalisierung und Deregulierung ausweitet, gibt es keine entsprechende Institution, die der Monopol- und Kartellbildung auf dem Weltmarkt Einhalt gebietet. Es ist darum eine Minimalforderung, dass eine unabhängige Institution internationale Fusionen und Aufkäufe kontrolliert und unlauteren Wettbewerb sanktioniert. Ein Welthandelsregime, das sich der Fairness und Nachhaltigkeit verschreibt, wird darüber hinaus eine ausgewogene Verteilung von Gewinnen entlang grenzüberschreitender Wertschöpfungsketten sichern. Dabei kann es von der Fair-Trade-Bewegung lernen. Seit über drei Jahrzehnten zeigt sie, wie grenzüberschreitende Wertschöpfungsketten qualitativ hochwertige Produkte zu fairen Preisen für die Produzenten und mit hohen Sozialstandards im Produktionsprozess hervorbringen können (®Kapitel 12). Warum sollten Fairhandelsverträge, wie sie das Unternehmen The Body Shop und andere Firmen für ihre Zulieferer in fernen Ländern geschlossen haben, nicht für alle Unternehmen zur Bedingung gemacht werden, die am Welthandel teilnehmen möchten?[xv]

Eine starke multilaterale Handelsorganisation ist unverzichtbar. Die WTO jedoch erfüllt in ihrer gegenwärtigen institutionellen Verfassung die genannten Anforderungen nicht. Sie muss sich darum neu erfinden oder ihren Platz anderen Organisationen überlassen, die nicht nur dem wirtschaftlichen Standortwettbewerb der Nationen dienen, sondern dem globalen Gemeinwohl.

Zeitfenster 2022: Eine Welt-Fairhandelsorganisation

Porto Alegre, 20.März 2022. Heute haben die Wirtschaftsminister von 176 Staaten in Porto Alegre, Brasilien, ihre Unterschrift unter ein historisch einmaliges Abkommen gesetzt. Nach knapp zehn Tagen intensiver Verhandlungen am Ort und einer insgesamt fünfjährigen Verhandlungsrunde haben sie mit dem Abkommen den Startschuss für die Gründung einer neuen „Internationalen Handelsorganisation“ (ITO) unter dem Dach der Vereinten Nationen gegeben. Wieder in Brasilien, wird hiermit nach genau 30 Jahren das Versprechen der Erdkonferenz in Rio 1992 ein weiteres Stück umgesetzt: Handel, Entwicklung und Nachhaltigkeit miteinander in Einklang zu bringen.

Die neue ITO wird die bisherige Welthandelsorganisation (WTO) ablösen, welche nach ihrer Gründung 1994 einseitig die Liberalisierung des Handels vorangetrieben hatte. Die künftige ITO hingegen soll den Handel weniger deregulieren, als vielmehr koordinieren. Sie wird aus den folgenden fünf Abteilungen bestehen:

Eine Abteilung für Koordinierung wird die Abwägung nationaler Präferenzen und internationaler Interessen zur zentralen Aufgabe haben. Sie wird vor allem dafür sorgen, dass der nationale politische Spielraum im Handel wiederhergestellt wird. Sie wird diesen Spielraum aber auch mit Blick auf mögliche schädliche Effekte für internationale und ausländische Märkte überwachen und ggf. eingrenzen.

Eine Abteilung für Qualitätssicherung wird darauf abzielen, auf globalen Märkten die Qualität von Handelsströmen zu garantieren. Dabei wird sie vor allem die Einführung von Menschenrechts-, Sozial- und Nachhaltigkeitsstandards auf nationaler Ebene sowie die Verhandlungen über Meta-Standards auf multilateraler Ebene unterstützen.

Eine Abteilung für Handelsbilanzausgleich wird dafür Sorge tragen, dass Handelsbilanzdefizite oder -überschüsse mittelfristig in einer Balance bleiben. Sie wird dazu in einer doppelten Buchführung einen Abgleich zwischen allen nationalen Handelsbilanzen und einer neuen internationalen Leitwährung vornehmen und Länder mit Bilanzdefiziten oder Überschüssen darin unterstützen, einen Bilanzausgleich zu erzielen.

Eine Abteilung für Kartellaufsicht wird dafür zuständig sein, Verhandlungen über die Wettbewerbspolitik auf globaler Ebene zu begleiten. Sie würde Informationen über Größe und Aktionsradius internationaler Unternehmen einschließlich der Fusionen und Aufkäufe veröffentlichen und im Falle einer schädlichen Marktkonzentration einschreiten.

Schließlich hätte eine Abteilung für Streitschlichtung die Aufgabe, Konflikte zwischen Mitgliedsstaaten zu schlichten und zwischen Mitgliedsstaaten und Dritten, wie etwa Konzernen und NGOs, zu vermitteln. Diese Abteilung wird auch auch weiterhin unabhängige Gremien zur Schlichtung einsetzen, wie dies gegenwärtig im Rahmen der WTO geschieht. Wenn aber die Entscheidung eines dieser Gremien nicht die Zustimmung aller Streitparteien findet, wird die darauf folgende Berufung an ein (Schieds-)Gericht außerhalb der ITO verlagert werden, um das Prinzip der Gewaltenteilung und die institutionelle Unparteilichkeit zu gewährleisten.[xvi] 

18.2 Bilaterale Abkommen kooperativ gestalten

Grundständige Reformen der WTO sind aufgrund der starken Interessenunterschiede der 152 Mitgliedsstaaten nicht leicht zu erreichen und brauchen ihre Zeit. Das erzeugt Ungeduld. Im September 2003, nachdem die 5. WTO-Ministerkonferenz in Cancun, Mexiko, abrupt und zur Überraschung vieler abgebrochen wurde, rief der US-Handelsvertreter Robert Zoellick zu einem Paradigmenwechsel in der Handelspolitik aus. Es habe in Cancun zu viele unwillige Länder gegeben, die die Verhandlungen scheitern ließen. Jetzt werde sich sein Land mit den Willigen zusammentun und bilaterale Handelsverträge schließen[xvii]. Damit entsteht eine weitere Bedrohung eines fairen Welthandelssystems, wenn nämlich die großen Verhandlungsmächte abseits der öffentlichen Aufmerksamkeit ihre Agenda des Freihandels mit doppeltem Maßstab durchsetzen, ohne dass die Entwicklungsländer sich in Gruppen zusammenschließen und gemeinsam ihre Interessen vertreten können.

Von Freihandelsabkommen zu echten Entwicklungspartnerschaften

Tatsächlich sind bereits etliche Freihandelsabkommen entstanden, unter ihnen das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA als eines der bekanntesten Beispiele. Sie begünstigen einseitig die Interessen der Starken. Auch die Europäische Kommission, die für alle EU-Staaten die Handelspolitik bündelt, verfolgt bereits seit längerem eine Strategie bilateraler Freihandelsverträge[xviii]. Und im Jahr 2006 hat die Generaldirektion Handel der EU in ihrem Strategiepapier „Global Europe — Competing in the World“ unmissverständlich angekündigt, in Zukunft vermehrt bilaterale Freihandelsverträge abzuschließen, und zwar mit dem vorrangigen Ziel, die Stellung europäischer Unternehmen auf den Märkten der aufstrebenden Schwellenländer Asiens auszubauen[xix]. Bisher hat die EU 14 bilaterale Freihandelsabkommen mit Entwicklungsländern abgeschlossen, und mehrere weitere Abkommen sind in Verhandlung, unter ihnen die „Wirtschaftspartnerschaftsabkommen“ mit 77 Ländern Afrikas, der Karibik und des Pazifik, den so genannten AKP-Staaten[xx]. Sie verdienen besondere Aufmerksamkeit, zumal Deutschland eine unmittelbare Mitverantwortung für die Handels- und Entwicklungspolitik der EU trägt.

Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (Economic Partnership Agreements (EPA) reihen sich ein in eine lange Tradition von Handelsabkommen zwischen der EU und den AKP-Staaten, die nicht zuletzt auf die historische Verantwortung der europäischen Länder nach der Kolonialzeit zurückgeht. Doch die gegenwärtigen EPA-Verhandlungen bergen wenig Gutes und viele Risiken für die Partnerländer. Zwar wurden hehre Ziele formuliert, so die Reduzierung der Armut, eine verstärkte Industrialisierung, eine wirtschaftliche Diversifizierung, eine Stärkung der regionalen Integration, der Umweltschutz und die Förderung von Frauen. Zudem wurde vereinbart, dass parallel zu den Verhandlungen wissenschaftliche Folgenabschätzungen erstellt werden, die die Auswirkungen der geplanten Abkommen auf Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt untersuchen. Doch was in den gegenwärtigen Verhandlungen faktisch entsteht, entpuppt sich vor allem als ein Mehr an Freihandel zugunsten der EU. Die EPAs stellen den AKP-Staaten keine Mechanismen der Preisstabilisierung oder Ausgleichfonds mehr zur Verfügung. Und anstatt den einseitig begünstigten Marktzugang zur EU, den die AKP-Länder bisher genossen, fortzusetzen und wieder zu verbreitern, strebt die EU eine wechselseitige Marktöffnung an, die wenig Rücksicht auf die enormen ökonomischen Asymmetrien zwischen EU- und AKP-Staaten nimmt[xxi].

Ende 2007 hat die EU mit hohem politischem Druck und fragwürdigen Verhandlungsmethoden einen Teil der AKP-Staaten dazu gedrängt, in Interimsabkommen einer weit reichenden Marktöffnung gegenüber der EU zuzustimmen. Die Kommission hatte dabei argumentiert, dass die wechselseitige Marktöffnung eine unausweichliche Bedingung der WTO sei; tatsächlich hätte es aber eine ganze Reihe von Alternativen gegeben, bei denen die einseitigen Vergünstigungen für die Mehrheit der AKP-Ländern hätten fortgesetzt werden können[xxii]. Nun müssen diese innerhalb von nur 10-15 Jahren einen Großteil der Zölle auf Importe aus der EU abschaffen. Da im Durchschnitt 10-15Prozent der Staatseinnahmen der AKP-Länder von Zöllen abhängen, in einigen Ländern sogar 20Prozent, bedeutet dies eine massive Einschränkung ihrer Handlungsspielräume. Darüber hinaus verpflichten die Interimsabkommen die AKP-Länder dazu, auch über eine weitere Öffnung ihrer Dienstleistungsmärkte, die Liberalisierung von Investitionen sowie den Schutz geistiger Eigentumsrechte zu verhandeln. Die EU hat obendrein angedeutet, finanzielle Zuwendungen von der Unterzeichnung solch umfassender EPAs abhängig zu machen. Sie tut hingegen nichts dafür, dass kleinere Unternehmen aus den AKP-Ländern überhaupt auf dem Markt mit großen EU-Unternehmen mithalten können. Sie pocht im Gegenteil auf einen Investitionsschutz für ausländische Unternehmen. Das bedeutet, dass europäische Unternehmen Forderungen an die Regierungen der AKP-Länder stellen können, wenn ihre Gewinne durch die Einführung von umwelt-, gesundheits- oder sozialpolitischen Maßnahmen eingeschränkt werden[xxiii].

Bilaterale Verhandlungen können auch ganz anders geführt werden. Ein solches Beispiel ist die „Bolivarische Alternative für Amerika“ (ALBA), die zwischen einer Gruppe von Ländern Lateinamerikas geschlossen wurde. Auch wenn sie noch keine abschließende Bilanz ermöglicht, stellt sie immerhin den Versuch einer wirtschaftlichen Kooperation dar, die sich nicht in erster Linie auf Handelsliberalisierung, sondern auf eine neue Vision von Wohlstand und sozialer Gerechtigkeit gründet[xxiv]. Was immer man über den in dem Abkommen vereinbarten Austausch von venezolanischem Öl gegen kubanische Ärzte oder von bolivianischem Erdgas gegen venezolanisches Infrastruktur-Know-how denken mag, so liegt doch auf der Hand, dass hier das reine Profitstreben hinter einer anderen Logik zurücksteht, nämlich einer Mischung aus politischem Hegemonieinteresse und einem Ethos der Solidarität.,[xxv]. Ein auf Selbstinteresse und Solidarität gebautes Abkommen ließe sich als eine solare Energiepartnerschaft zwischen der EU und den sonnenreichen Staaten Nordafrikas denken.

Solare Energiepartnerschaften zwischen der EU und den Ländern Nordafrikas

Eine solare Vollversorgung der Länder der EU binnen weniger Jahrzehnte wird nur erreichbar sein, wenn ein Teil der Energie aus den sonnenreichen Regionen beispielsweise des südlichen Mittelmeers importiert wird. Ebenso gilt: Eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung der Länder Nordafrikas kann nicht gelingen, wenn ungleiche Handelsbeziehungen mit der EU diese Ökonomien auf die Lieferung von Primärgütern (landwirtschaftliche Erzeugnisse, Rohstoffe) reduzieren. Eine bilaterale Energiepartnerschaft kann dagegen für beide Seiten Vorteile schaffen.

Im Jahr 2003 wurde vom Club of Rome, dem Hamburger Klimaschutz-Fonds und dem Jordanischen Nationalen Energieforschungszentrum die Initiative „Trans-Mediterranean Renewable Energy Cooperation“ (TREC) gegründet, die sich für die Übertragung von in Wüstenregionen erzeugtem Solar- und Windstrom nach Europa einsetzt[xxvi]. Die Chancen für Klimaschutz und Energiesicherheit hat diese Initative bereits gut herausgearbeitet. Jetzt sollte sie durch entwicklungsfreundliche Handels- und Investitionsregeln verstärkt werden, damit die Länder Nordafrikas nicht bloß zu Exporteuren von Solarstrom aus solarthermischen Großkraftwerken werden, die womöglich noch von europäischen Unternehmen betrieben werden. Vielmehr sollen die Länder Nordafrikas ein unabhängiges Industrie- und Dienstleistungsgewerbe für Erneuerbare Energien aufbauen, auf diese Weise ihre Wirtschaft diversifizieren und so mit Hilfe einer solaren Wirtschaftsstruktur Wohlstand schaffen. Um einen ausgeglichenen Mix aus größeren solarthermischen Kraftwerken, Windparks und kleineren, dezentralen Photovoltaik- oder solarthermischen Anlagen für die heimische Nutzung in den Länden Nordafrikas zu befördern, darf die Energiepartnerschaft nicht nur Stromimporte und -exporte regeln, sondern muss auch einen Transfer von Know-how über erneuerbare Technologien enthalten. Ferner sollte sie festschreiben, dass beim Bau der Kraftwerke, ihrem Betrieb und ihrer Wartung, und auch bei der Vermarktung des Stroms die Wertschöpfung vor Ort optimiert wird. Im Anfangsstadium wird sie auch Hilfe für die Ausbildung von Technikern und Facharbeitern, für Universitäten und Forschungseinrichtungen umfassen.

Bei Abkommen zwischen Ländern mit unterschiedlich entwickelten Ökonomien ist die regulierende Rolle der Politik unentbehrlich. Die Europäische Union selbst zeigt , wie unentbehrlich die Mitwirkung der politischen Instanzen ist. Beitrittsländer öffnen ihren Markt und erhalten freien Zugang zu den Märkten der anderen EU-Staaten, erfüllen im Gegenzug aber auch eine Vielzahl von Umwelt- und Sozialstandards. Und ärmere und strukturschwache Regionen erhalten Geld über den EU-Ausgleichsfonds, um zu den wohlhabenden Regionen aufzuschließen. Die EU verbindet also den freien Handel mit Qualitätsstandards wie auch mit einem finanziellen Ausgleich für die schwächeren Partner. Es ist nicht einzusehen, dass diese wohl begründeten Prinzipien nicht auch die Abkommen mit den AKP-Staaten regieren sollten.

Mit Investitionsabkommen die extra-territorialen Staatenpflichten umsetzen

Während die EU-Kommission Verhandlungen für Handelsverträge aller Mitgliedsstaaten bündelt, stehen bilaterale Investitionsabkommen (Bilateral Investment Treaty; BIT) immer noch in der Kompetenz der nationalen Regierungen. Deutschland ist Weltmeister im Schließen solcher BITs: Mit 125 Ländern des Südens waren sie Ende 2007 bereits in Kraft, mit weiteren 16 Ländern werden sie derzeit ratifiziert. Kein anderes Land der Welt hat so viele BITs geschlossen wie die Bundesrepublik. Sie möchte mit diesen Abkommen die Investitionen und Erträge deutscher Unternehmen sichern, während die Empfängerländer sich von den Abkommen versprechen, durch ein stabiles Investitionsklima vermehrt Investitionen anzulocken. Es geht also in erster Linie darum, Investitionsflüsse zu sichern und zu erhöhen.

Ob die geschützten Investitionen zur Armutsreduzierung oder zur sparsamen Ressourcennutzung beitragen, ist nicht Gegenstand der BITs. Sie machen keinen Unterschied zwischen Investitionen in die Solarwirtschaft oder in Kohleminen, in den biologischen Landbau oder die industrielle, chemie-intensive Blumenzucht. Egal, ob entwicklungsfördernd oder Arbeitskräfte ausbeutend, ob umweltfreundlich oder die Natur schädigend: Deutsche Investoren erhalten durch die BITs, die ihnen Klagemöglichkeiten einräumen, einen weit reichenden Schutz vor Gewinneinbußen und möglichen Enteignungen. Auch wenn sich deutsche Unternehmen bislang nicht übermäßig als Kläger hervorgetan haben, so belastet allein die Möglichkeit die Bereitschaft der Regierungen, Umwelt- oder Sozialstandards einzuführen. Auch ist nicht einzusehen, warum ausländische Unternehmen durch BITs so weitreichende Rechte eingeräumt bekommen, während diesen Rechten praktisch keinerlei Pflichten gegenüberstehen.

Stattdessen würden sich die BITs als Instrument anbieten, mit denen die Bundesrepublik ihre extra-territorialen Staatenpflichten umsetzten kann (®Kapitel 6). Zu den Pflichten deutscher Unternehmen im Ausland müssen mindestens die Einhaltung der UN-Menschenrechte, der ILO-Kernarbeitsnormen, der in völkerrechtlichen Abkommen verankerten Umweltstandards sowie die geltenden Anti-Korruptionsbestimmungen gehören. Nicht Unternehmen sollten gegen Regierungen klagen können, sondern Regierungen müssen das Recht haben, die Investorenrechte aufzuheben, wenn ein Unternehmen etwa gegen das Korruptionsverbot oder gegen geltendes Umweltrecht verstößt. Auch kann die Politik Anreize setzen, damit Unternehmen über die Einhaltung der Mindeststandards hinaus ein verantwortliches Management globaler Produktketten praktizieren (®Kapitel 12).

Ein Musterabkommen für nachhaltige Investitionspolitik

Eine Balance zwischen Rechten und Pflichten suchend haben Wissenschaftler des International Institute for Sustainable Development (IISD) im Jahr 2005 mit einem eigenen Musterabkommen eine umfassende Alternative zu den weithin praktizierten bilateralen Investitionsabkommen (BITs) vorgelegt. Ziel des Musterabkommens ist es, Rahmenbedingungen für Investitionen zu schaffen, die tatsächlich einer zukunftsfähigen Entwicklung dienen. Sie bauen auf drei Grundlinien auf. Erstens definiert das Abkommen einen Kodex von Praktiken, die Unternehmen in jedem Falle einhalten müssen. Es legt etwa fest, dass ausländische Unternehmen vor einer Niederlassung eine Umweltfolgenabschätzung durchführen müssen. Wenn Unsicherheit über große Umweltrisiken besteht, darf gegen die Interessen der Investoren entschieden werden. Zweitens stärkt das Musterabkommen den politischen Handlungsspielraum der Regierungen. So gilt die Einführung von sozial- oder umweltpolitischen Maßnahmen nicht mehr als Vertragsverletzung, auch wenn sie Gewinneinbußen eines ausländischen Unternehmens mit sich bringt. Und drittens legt das Musterabkommen fest, dass Investoren für ihre Handlungen verantwortlich zeichnen müssen – nicht nur in den Ländern des Südens, sondern auch in ihren Heimatländern. Denn in vielen Entwicklungsländern sind die Justizsysteme oft nicht in der Lage, Prozesse gegen transnationale Unternehmen anzustrengen – etwa weil institutionelle Kapazitäten fehlen, oder der politische Wille. Daher legt das Musterabkommen fest, dass Geschädigte auch vor die Gerichte der Heimatländer der Investoren ziehen können und sich dabei von NGOs unterstützen lassen dürfen. Das Risiko der Unternehmen, spürbare Schadensersatzzahlungen leisten oder einen Imageverlust in ihrem Heimatland hinnehmen zu müssen, wird einen kräftigen Anreiz zu verantwortungsbewusster Unternehmensführung weltweit liefern.

Quelle: Mann et al. (2005); Fichtner (2006).

Der Beitrag Deutschlands und der EU zur globalisierten Welt wird sich nicht zuletzt an der Gestalt ihrer bilateralen Abkommen ablesen lassen. Sie werden glasklar offen legen, ob Europa bereit ist, den Menschenrechten und der Umwelt höchste Priorität einzuräumen.

18.3 Die deutsche Import- und Exportpolitik zukunftsfähig machen

Es wird wesentlich leichter sein, die WTO-Regeln und auch die bilateralen Abkommen der EU zu erneuern, wenn einzelne Länder in ihrer nationalen Politik mit gutem Beispiel vorangehen. Es reicht auch nicht aus, multi- und bilaterale Handels- und Investitionsregeln zu reformieren, solange ungeachtet dieser Regeln konkrete Im- und Exporte öffentlich gefördert werden, die der Fairness und Ökologie zuwiderlaufen; schließlich gilt in einer eng verflochtenen Welt, dass alle Außen-Wirtschaftspolitik letztlich Welt-Wirtschaftspolitik ist. Daher ist es die Grundbedingung aller Reformen, das eigene Haus in Ordnung zu bringen. Als Exportweltmeister hat gerade Deutschland eine besondere Verantwortung, seine Import- und Exportpolitik nach umweltverträglichen und sozialverträglichen Gesichtspunkten zu gestalten (®Kapitel 5).

Die öffentliche Beschaffung öko-fair ausrichten

Eine zukunftsfähige Außenwirtschaftspolitik wird sowohl die Förderung von Exporten betrachten, als auch die Steuerung von Importen einbeziehen. Eine zukunftsfähige Importpolitik wird vor allem ein System des Qualifizierten Marktzugangs umsetzen (Abschnitt 1). Sie wird aber auch die öffentliche Beschaffung (®Kapitel 14) in den Blick nehmen, die Importe nach Deutschland generiert – vor allem, wenn es sich um Importe aus Ländern des Südens handelt. Aufgrund des beachtlichen Umfangs des öffentlichen Beschaffungsmarktes  kann eine zukunftsfähige Ausrichtung der Beschaffungspolitik einen enormen Beitrag dazu leisten, die deutschen Außenwirtschaftsbeziehungen umweltverträglich und international gerecht zu gestalten.

Eine Liberalisierung der Beschaffungsmärkte wird gegenwärtig vor allem durch bilaterale Handelsverträge forciert, unter anderem auch durch die oben besprochenen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs). Die sind jedoch weit davon entfernt, Beschaffungsmärkte nach Kriterien der Nachhaltigkeit zu gestalten. Da eine Liberalisierung des Handels die öffentliche Beschaffung zunehmend in undurchsichtige internationale Produktionsnetzwerke einbindet, erschwert sie die Einführung sozialer und ökologischer Anforderungen im Beschaffungswesen.

Eine Richtlinie für eine zukunftsfähige Beschaffungspolitik würde eine Prüfung der bietenden Unternehmen verlangen, ob sie zum Beispiel in ihren Produktionsstätten im Süden die Menschenrechte, die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation sowie einschlägige Sozialstandards einhalten und diese ihrerseits von ihren Zulieferern einfordern. Sie würde von den Unternehmen Umweltbilanzen erwarten und eine Lebenszyklusanalyse der angebotenen Produkte und Dienstleistungen. Wo bereits ein Markt für Waren unter dem Fair-Trade- oder einem der anderen Umwelt- und Sozialsiegeln besteht, sollten Verwaltungen den Zuschlag von ihnen abhängig machen (®Kapitel 14).

 

Wirtschaftsförderung, Entwicklungspolitik und Umweltschutz zusammendenken

Als Exportweltmeister muss Deutschland nicht nur seine Importe, sondern vor allem auch seine Exporte nachhaltig gestalten. Die Politik bietet einen Strauß von Instrumenten und Maßnahmen zur Förderung von Exporten und Direktinvestitionen deutscher Unternehmen ins Ausland an: die Risikoabsicherung durch Hermes-Bürgschaften, die Investitionsgarantien und die Export- und Projektförderung der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und der KfW IPEX Bank, sowie die Tätigkeit der Wirtschaftsabteilungen der Botschaften, die deutschen Außenhandelskammern, das Informationssystem der Bundesagentur für Außenwirtschaft und noch manches mehr. Hermes-Bürgschaften versichern nicht die Exporte als solche; sie versichern die Kredite, die ein deutsches Unternehmen vor dem Export von Gütern aufnehmen muss, gegen politische Unwägbarkeiten wie Enteignung oder Bürgerkrieg oder wirtschaftliche Zahlungsunfähigkeit des Käufers. Bleiben Zahlungen aus, springt die Bundesregierung ein.

Die Außenwirtschaftsförderung in Deutschland dient bisher vor allem dem Ziel, den Standort Deutschland im globalen Wettbewerb zu behaupten. Sie orientiert sich einseitig an innenpolitischen Zielen, wie der Sicherung von Arbeitsplätzen in der Exportwirtschaft und der Stärkung deutscher Unternehmen auf dem Weltmarkt. Folglich preist zum Beispiel das Bundeswirtschaftsministerium in seinem Jahresbericht 2005 über die öffentlichen Investitionsgarantien die erfolgreiche Beendigung des Baus eines Steinkohlekraftwerks durch die Steinkohle AG in Mindanao, Philippinen, obwohl lokale Umwelt- und Bürgerrechtsgruppen massiv gegen den Bau demonstriert und stattdessen den Ausbau Erneuerbarer Energien gefordert hatten[xxvii]. Und noch immer werden von der KfW IPEX Bank Projektfinanzierungen getätigt, die aus menschenrechtlicher oder ökologischer Sicht bedenklich sind: in der Rohstoffgewinnung, Öl- und Gasförderung, der Petrochemie, der Aluminium- und Stahlerzeugung oder in der Energiewirtschaft[xxviii]. In der Praxis der deutschen Außenwirtschaftsförderung zeigt sich immer wieder, dass der Umwelt- und Menschenrechtsschutz wirtschaftlichen Erwägungen untergeordnet wird[xxix].

Die Vergaberichtlinien für Hermes und KfW IPEX können von der Bundesregierung beeinflusst werden. Zwar hat die KfW seit 1995 mehrere Selbstverpflichtungen zum Umweltschutz verabschiedet und 2003 gar eine Orientierung sämtlicher KfW IPEX-Aktivitäten an der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung angekündigt[xxx]; im Jahr 2008 hat sie sich zudem den Equator Principles angeschlossen, einem international anerkannten Kodex erweiterter Umwelt- und Sozialstandards für die Geschäfte von Banken. Dennoch gehen Investitionshilfen und Bürgschaften etwa für Kohle- oder Zellstofffabriken oder für den Flugverkehr weiter, während nur marginal zukunftsfähige Technologien gefördert werden. Das steht in eklatantem Widerspruch zur Klimapolitik der Bundesregierung.

Auch aus entwicklungspolitischer Sicht ist die gegenwärtige Praxis der deutschen Außenwirtschaftsförderung zudem problematisch, weil sie der Verschuldung von Ländern des Südens Vorschub leistet. Eine Hermes-Bürgschaft wird von der Bundesregierung häufig nur dann gewährt, wenn die Regierung des Empfängerlandes ihrerseits eine Staatsgarantie ausgesprochen hat. Wenn es zu einer Zahlungsunfähigkeit kommt, so fällt die Bringschuld auf die dortige Regierung zurück. Denn die Bundesregierung zahlt zwar das deutsche Unternehmen aus, stellt ihrerseits aber Forderungen an das Empfängerland. Aus einer Kreditbeziehung zweier Unternehmen wird so ein Schuldverhältnis zweier Länder. In der Summe stellen die Schulden, die auf diese Weise aus Exportkrediten und Staatsgarantien entstehen, für zahlreiche Entwicklungsländer den größeren Teil ihres Schuldenberges dar[xxxi]. In den letzten Jahren hat die Bundesrepublik nach eigenen Angaben durch Rückflüsse aus Hermes-Bürgschaften jährlich über 1 Milliarden EURO an Zinsen eingenommen, was die Ausgaben für die Förderung dieser Exporte um ein Mehrfaches überstieg[xxxii]. Während die ökonomische Integration der Länder des Südens unter der Maßgabe vorangetrieben wird, dass sie sich durch verstärkten Welthandel aus ihrer Verschuldung befreien können, halten die Forderungen aus Staatsgarantien sie in neuen Abhängigkeiten gefangen.

Die Revision der deutschen Außenwirtschaftsförderung steht bereits seit mehreren Legislaturperioden auf der politischen Agenda. Zwar kann Außenwirtschaftsförderung kein Instrument reiner Entwicklungshilfe sein; aber sie kann sehr wohl nationale Ziele wie Arbeitsplatzsicherung und Mittelstandsförderung mit den Zielen der Armutsreduktion und des Schutzes der Biosphäre in Einklang bringen; Dafür sollte sie deutsche Unternehmen darin unterstützen, durch den Export ressourcenschonender Produktionsweisen und Produkte zur wirtschaftlichen Diversifizierung der Länder des Südens beizutragen. Sie wird darum nicht nur Exporte fördern, sondern gleichzeitig einen Wissenstransfer organisieren, so dass neben deutschen Filteranlagen, Solarzellen, elektronischen Mautsystemen oder Ähnlichem auch das Know-how zu ihrer Herstellung und – noch wichtiger – zu ihrer Fortentwicklung vor Ort weiter gegeben werden. Wo Technologietransfer über privatwirtschaftliche Projekte stattfindet, muss der internationale Patentschutz als Hemmnis beim Transfer von Know-how durch entsprechende Bedingungen bei der Projektförderung ausgeschlossen werden. Und insbesondere für kooperative Problemlösungen und die Stärkung institutioneller Kapazitäten bieten sich in bestimmten Sektoren Public-Public Partnerships an.

Public-Public Partnership im Wassersektor

In Deutschland ist die Wasserversorgung vor allem durch öffentliche Strukturen geprägt. Vorrangiges Ziel ist es, eine flächendeckende Versorgung der jeweiligen Stadt oder Gemeinde mit gutem Wasser sicherzustellen. Für die internationale Kooperation bieten sich insbesondere Städtepartnerschaften an. Die Public-Public Partnership von Hamburg mit der südchinesischen Stadt Tianjin, die im Mai 2007 geschlossen wurde, ist ein Beispiel hierfür. Hamburg Wasser und Tianjin Sewerage Management haben in unterschiedlichen Bereichen jeweils spezifische Stärken herausgebildet. Hamburg Wasser verfügt über langjährige Erfahrungen und leistungsfähige Systeme, auf die Tianjin nun zurückgreifen wird. Die chinesische Wasserwirtschaft ist speziell im Bereich einer kurzen Kreislaufführung, das heißt schnellen Aufbereitung von Wasser, innovativ. Die Kooperation soll dem Austausch theoretischer Kenntnisse sowie praxiserprobter Betriebsmethoden dienen. Zu den vereinbarten Schwerpunkten der Zusammenarbeit gehören unter anderem geografische Informationssysteme (GIS) für Abwassernetze sowie die thermische und stoffliche Verwertung von Klärschlamm. Weitere Gebiete der Zusammenarbeit sind u.a. Hochwasserschutz, Regenwassermanagement, Kanalinstandhaltung sowie die Verwertung und Distribution von Brauchwasser in regenarmen Regionen der Welt[xxxiii].

Um die Außenwirtschaftsförderung zukunftsfähig zu machen, müssen die Vergaberichtlinien für Hermes-Bürgschaften, Projektförderungskredite und Investitionsgarantien neu bedacht werden. Ebenso wie Rüstungsexporte in Konfliktländer untersagt sind, müssen es auch Exporte werden, die massiv klima- und umweltschädlich sind. Die Außenwirtschaftsförderung muss sich von einem reaktiven zu einem proaktiven Instrument entwickeln, etwa durch eine Positiv-Liste von zukunftsfähigen Wirtschaftssektoren, die gefördert werden. Verbindliche Prüfverfahren können dafür sorgen, dass Umwelt-, Menschrechts-, Arbeits- und Sozialstandards, wie sie die Weltbank und andere Entwicklungsbanken längst fordern, auch in der deutschen Wirtschaftsförderung zu Mindestanforderungen werden. Wenn ein Unternehmen diese Mindestpflichten nicht erfüllt, wird ihm die Investitionsgarantie entzogen. Die entsprechenden Organisationen in den USA, in Japan oder Australien haben längst erkannt, dass die Erfahrung umwelt- und entwicklungspolitischer Organisationen die Qualität der Folgenabschätzung erheblich verbessern kann. Die Bundesregierung hält dagegen an einer sehr restriktiven Informationspolitik fest. Bei Bürgschaften gibt sie nur wenige Informationen preis, und diese erst nach der Vergabe; im Fall von Investitionsgarantien und Projektkrediten gewährt sie sogar keinerlei Auskünfte[xxxiv].

18.4 Die Handelspolitik demokratisieren

Die Intransparenz und Verschlossenheit der deutschen Außenwirtschaftsförderung ist ein Symptom, das in der Handelspolitik auf allen politischen Ebenen zu beobachten ist. Und es ist der wichtigste Grund dafür, warum Vorschläge für mehr Fairness und Ökologie, wie sie von unzähligen Organisationen aus Süd und Nord seit langem erhoben werden, bisher völlig folgenlos bleiben. Wie kaum ein anderes Politikfeld wird die Handelspolitik durch ein eklatantes Demokratiedefizit geprägt – höchstens wird dies noch von der Sicherheitspolitik übertroffen. Zu ihr hat die Handelspolitik eine unrühmliche Affinität: Auch ihre Entscheidungen werden zumeist bei verschlossen Türen getroffen, sie verfolgen in der Regel ohne große Rücksicht auf die Gegenseite die Interessen des eigenen Staates bzw. bestimmter (meist großindustrieller) Interessengruppen im eigenen Land, und das Gemeinwohl oder gar der Schutz der Menschenrechte werden diesen Interessen allzu leicht geopfert.

Demokratiedefizite auf allen Ebenen

Das Demokratiedefizit in der Handelspolitik zeigt sich vor allem daran, dass Betroffene in Entscheidungsprozessen nicht angehört, geschweige denn eingebunden werden. Als die Bundesregierung eine Hermesbürgschaft für den Drei-Schluchten-Damm in China oder den Maheshwar-Staudamm in Indien vergab, wurden die Stimmen der Menschen nicht berücksichtigt, die für diese Projekte aus ihrer Heimat vertrieben und umgesiedelt werden mussten. Als die EU eine Marktöffnung für Agrargüter in den Verhandlungen der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs) gefordert hat, wurde dies über die Köpfe der Kleinbauern in Afrika und der Karibik, aber auch der bäuerlichen Produzenten in der EU hinweg verhandelt, obwohl sie es sind, die am meisten unter den Auswirkungen der Liberalisierung leiden werden. Meist mangelt es schon an Informationen und einer öffentlichen Diskussion über die Auswirkungen des Handels. So gibt es beispielsweise rund 2.500 bilaterale Investitionsabkommen (BITs) weltweit, doch die wenigsten selbst der interessierten Bürgerinnen und Bürger werden schon davon gehört haben. Und sogar im Bundestag mangelt es insgesamt an der nötigen Aufmerksamkeit und an Debatten über handelspolitische Beschlüsse.

Im Schatten der öffentlichen Aufmerksamkeit haben es Interessengruppen leicht, die politischen Entscheidungsträger zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Auf WTO-Konferenzen haben Unternehmensverbände und Vertreter großer Konzerne meist guten Zugang zu den Delegierten; im Fall des GATS-, des TRIPS- und einiger weiterer Abkommen der WTO ist gar bekannt, dass einzelne Unternehmensvertreter den Text der Abkommen vorformuliert hatten[xxxv]. Im Bundeswirtschaftsministerium wie auch auf EU-Ebene und in den internationalen Organisationen lässt sich zudem das Phänomen der ‚revolving doors’ beobachten: Mitarbeiter aus Unternehmen und Unternehmensverbänden wechseln zeitweise den Job und werden zu politischen Entscheidungsträgern, um anschließend wieder für die Industrie zu arbeiten. Gleichzeitig bleiben aber die Einwirkungsmöglichkeiten von entwicklungspolitischen, Umwelt- und Menschenrechts-NGOs auf Proteste außerhalb der Entscheidungszentren beschränkt; ihr Wissen und ihre Werte bleiben nicht nur ungenutzt, sondern werden in aller Regel systematisch übergangen.

Besonders gravierend wirkt sich das Demokratiedefizit zwischen Regierung und Parlament aus. Beschließungsanträge des deutschen Bundestags zur Verhandlungsführung der deutschen Delegation im Vorfeld von WTO-Ministerkonferenzen haben sich bisher weder auf die handelspolitischen Linie des Bundeswirtschaftsministeriums noch der EU-Kommission ausgewirkt. So mangelt es schon vor dem Verhandlungsstart an einem demokratisch legitimierten Mandat. Im weiteren Verhandlungsverlauf bleiben Bundestagsabgeordnete weitgehend vom Entscheidungsprozess ausgeschlossen. Auch das Bundesumweltministerium wie auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit sind nicht adäquat in die Meinungsbildung des federführenden Wirtschaftsministeriums eingebunden. Bezüglich der deutschen Außenwirtschaftsförderung sieht es nicht viel besser aus. Bisher beschränkt sich der Einfluss von Bundestagsabgeordneten darauf, das Bundesfinanzministerium über die jährliche Außenwirtschaftsförderung bis zu einer bestimmten Obergrenze zu ermächtigen. Die Gewährung der einzelnen Hermes-Bürgschaften oder Projekt-Anträge wird dann jedoch im so genannten ‚Interministeriellen Ausschuss’ vorgenommen. Menschenrechts-, Entwicklungs- und Umweltanliegen sind in diesem Ausschuss unterrepräsentiert, Bundestagsabgeordnete können keinen Einfluss nehmen – und die Zivilgesellschaft wie die Öffentlichkeit bleiben gänzlich ausgeschlossen[xxxvi].

Auch innerhalb der EU weist die Handelspolitik ein gehöriges Demokratiedefizit auf. Die Handelspolitik der EU soll gemäß den Statuten von der EU Kommission, , dem Ministerrat und dem Europäischen Parlament beschlossen werden. Doch ein guter Teil der handelspolitischen Linie der EU wird in einem regelmäßig tagenden Gremium, dem so genannten ,133er Ausschuss’ festgelegt. Während er eigentlich nur die Sitzungen des Ministerrates vorbereiten soll, werden faktisch dort Beschlüsse gefasst, die weit reichende Folgen für die Verhandlungsführung in der WTO und in bilateralen Abkommen haben. Die Zusammensetzung des Ausschusses ist dabei keinesfalls repräsentativ; er umfasst in der Mehrheit Mitarbeiter der Generaldirektion Handel, der Wirtschaftsministerien der EU-Länder, sowie ,unabhängige’ Handelsexperten, die ohne demokratische Legitimation für ihre Teilnahme mandatiert wurden[xxxvii]. Das Europäische Parlament wird dagegen meist erst spät in die Entscheidungsfindung eingebunden und kann lediglich Empfehlungen aussprechen.

Ohne Transparenz und Öffnung keine Fairness und Ökologie

Die Zukunftsfähigkeit der Handelspolitik wird daher maßgeblich von drei Faktoren abhängen: Erstens davon, dass die Bundesregierung für sich selbst, aber ebenso die EU-Mitgliedsstaaten als Gemeinschaft die Umwelt- und Entwicklungspolitik kohärent mit der Handelspolitik verbinden. Zweitens davon, dass die Mitsprache des Europäischen Parlaments und des Deutschen Bundestags verbessert wird; zum einen, indem der Bundestag definitiv ermächtigt wird, Handelspolitik nach dem öffentlichen Interesse zu mandatieren sowie auf laufende Verhandlungen in der WTO und in bilateralen Abkommen direkt Einfluss nehmen zu können, anstatt hinterher lediglich den fertig verhandelten Verträge zuzustimmen; zum anderen, indem die parlamentarische Kontrolle der Außenwirtschaftsförderung verbessert wird, etwa indem die relevanten Bundestagsausschüsse über Hermes- und Projekt-Anträge vorab informiert werden und mögliche Einsprüche erheben zu können. Und drittens davon, dass die Entscheidungsprozesse in der WTO, auf EU-Ebene, in der deutschen Außenwirtschaftspolitik für zivilgesellschaftliche Organisationen und vor allem für die potentiell Betroffenen nicht nur einsichtiger werden, sondern ihnen wo immer möglich auch eine aktive Mitsprache einräumen. Mehr Demokratie wagen!“ muss der Ruf lauten, der grundständige Reformen der Handelspolitik auf allen politischen Ebenen anleitet.

 

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[xxi] GAWU et al. (2004); Klever (2006)

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[xxiii] Ochieng/Sharman (2004); Godfrey (2006)

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[xxxiii] Hamburg Wasser (2007)

[xxxiv] Harries (1998); Urgewald (2004)

[xxxv] Dommen (2002)

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[xxxvii] WWF (2003)